Der»jüdische Fontane« Muhs 93 Drittens sei er gegen den Zionismus, weil ich einen Judenstaat als ein Unglück für die Juden betrachte, und als ein noch größeres Unglück für die gesamte Kulturwelt. Denn allen Vorteil, den diese von den Juden bisher hatte(und es gibt kein Gebiet, wo sie sie missen konnte in den letzten hundert Jahren) wird sie bei einem großen Judenstaat aufgeben müssen; und die Juden werden, staatlich gebunden, genau so beschränkt werden wie die andern Esel. 61 Was von letzterer Prognose zu halten ist, sei dahingestellt. Jedenfalls erklärt sich so, wie Georg Hermann im Glauben an eine universale Mission des Judentums, die im Falle seiner nationalen Verengung gefährdet werde, zu dem frappierenden Schluß kommen konnte:»Ich begrüße für die Juden der Welt den Zusammenbruch des Zionismus mit allem Enthusiasmus, dessen ich noch fähig bin – und mit mir insgeheim Tausende der besten Juden, auch wenn sie es nicht sagen, genauso wie ich es ja auch nicht sage!!« 62 Außer in einem Familienbrief eben. Ob es nun die von Gershom Scholem etwas vorzeitig diagnostizierte Altersmüdigkeit war oder aber Fontanescher Fatalismus: Für seine Person scheint sich Georg Hermann jedenfalls mit dem abgefunden zu haben, was er im Hinblick auf seine Romangestalten wiederholt in die Formel gefaßt hatte: Es kam wie es kommen mußte. 63 Bevor es aber so kam, verriet er seiner Tochter, die schriftstellerische Ambitionen zu erkennen gegeben hatte, noch sein Erfolgsrezept, das, ganz abgesehen von dem Schlußsatz, eine Vielzahl Fontanescher Zutaten enthielt: Das Wichtigste ist nicht was du schreibst, sondern daß du schreibst. Das heißt, dein persönlichstes Ich, das einmalig auf der Welt ist und, wenn du redest und erzählst, ja so nett seinen Ausdruck findet. Das heißt, das Beste an guten Büchern ist ja doch das persönliche Ich – die Gesamtfärbung des Wesens des Schreibenden – das durch die Geschichten hindurch leuchtet. Sei unverziert und aufrichtig und kümmere dich einen Dreck um den sogenannten Leser. – Man schreibt für sich, zur Selbstentlastung und um über Teile seines Daseins hinwegzuk ommen, an denen man sonst leidet, wie an eingeklemmten Affekten.... Sei einfach, aber nicht plump und zu simpel, und hüte dich vor allen Verstiegenheiten. Schreibe für gebildete Menschen – und denke daran: Gefühl ist alles. Bleibe jedoch durchaus unsentimental(ein häufiger Fehler der Frauenliteratur!). Du mußt ganz ruhig bleiben, die anderen müssen die Tränen in die Kehle kriegen. Habe den Mut auch in Wut zuzuhämmern. Bei bewegter Handlung kurze Sätze; bei Beschreibung, Ironie und Humor: lange, ja sogar vielleicht etwas verschnörkelte.... So: und nun schreib in Gottes Namen los! Aber denk an keine Kritik; du sollst für dich und nicht für andere schreiben. Ich habe mich nie um den Leser gekümmert – und er ist zu mir gekommen. Gedruckt-oder-nicht-gedruckt-werden ist eine
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(2020) 109
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