94 Fontane Blätter 109 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte zweite und davon ganz unabhängige Sache, und hat nichts mit der Selbstentlastung und seelischen Entspannung zu tun, die dir das Schreiben bringen soll.... Kümmere dich nie um eine Richtung, kümmere dich nie um eine Mode, kümmere dich nie um einen-ismus. Man hat das alles unbewußt, denn man lebt ja in der Zeit. Und denke an das hübsche Wort Fontanes:»Ich verlaß mich auf meinen Instinkt. Die dumme Kuh trifft schon das richtige Gras.« 64 Abschließend ist noch zu erwägen, ob ein Wegbrechen von Georg Hermanns Publikum – weniger plötzlich zweifellos, aber unweigerlich – auch ohne Intervention des Dritten Reiches erfolgt wäre. Vermutlich ja, so hat der niederländische Literaturwissenschaftler Cornelis van Liere schon 1974 argumentiert und dies ausdrücklich mit dem Verweis auf das Beispiel Holland begründet, wo seine Werke, die in der Zwischenkriegszeit eine große Lesergemeinde angezogen hatten, ebenfalls vergessen sind, obwohl die Einwirkung des Nationalsozialismus auf das Kulturleben dort kürzer und weit weniger nachhaltig war als in Deutschland. 65 Seither haben sich zwar immer wieder Autoren von Rang wie Peter Härtling 66 und Germanisten wie Gert Mattenklott 67 oder Hans-Otto Horch 68 für Georg Hermann und sein Oeuvre eingesetzt. Dass die erhoffte Breitenwirkung ausgeblieben ist, hat freilich auch seine Gründe. Die Divergenzen zwischen Fontanes Werk und dem Georg Herm anns sind nämlich ebenso wenig zu bestreiten wie ihre Affinität. Am erfolgreichsten waren seine frühen, in der»Großvaterzeit« spielend en Romane. Die Biedermeierwelt 69 ist jedoch längst zu weit entfernt, um vom Stoff her noch viele Leser anzusprechen. Dafür spräche unter anderem, dass Fontanes Vor dem Sturm und Schach von Wuthenow mit ihrer historisch-geographischen Verortung im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts heutzutage auch weniger Anklang finden als Irrungen Wirrungen, Effi Briest oder Der Stechlin. Der Großteil von Georg Hermanns Romanen ist jedoch nicht nur lange nach Fontanes Tod erschienen; sie handeln auch von Gegenw artsproblemen deutlich späterer Zeiten und sind doch weniger frisch geblieben. Was Fontanes Werken bleibende Anziehungskraft verleiht, dürfte nicht zuletzt ihre sprachliche Form sein. Dass Georg Hermanns Stil weitaus weniger kunstvoll ausgefeilt ist, hatte schon Arthur Schnitzler nach der Lektüre von Schnee, einer Fortsetzung des Romans Die Nacht des Doktor Herzfeld zu dem Kommentar veranlaßt:»Feines Buch, doch manchmal gar zu salopp.« 70 Und während ein Hauch von Resignation über Leben und Werk beider Autoren liegt, ist von dem hintergründigen Humor, mit dem Fontane seine Stoffe umkleidet, bei Georg Hermann wenig zu finden. Er neigte mehr zur Melancholie, die mitunter in Sentimentalität übergeht. Dafür ist das Spektrum dessen, was im Roman gesagt werden kann, bei Georg Hermann deutlich weiter gefaßt. Nicht ohne Grund wurde er von dem Karikaturisten Seeler als»feines, altes Fräulein, das mit Ironie und Wollust
Heft
(2020) 109
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