Heft 
(2020) 109
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Der Stechlin , ein politischer Zeitroman  Stolleis 117 intendent Koseleger war sogar, was ihn immer noch beflügelt, mit einer ech­ten Großfürstin in Antwerpen und Den Haag! Aber eigentlich spielt alles um den geheimnisvollen Großen Stechlinsee herum, um das Herrenhaus des Dubslav von Stechlin und um das Kloster Wutz 3 mit seiner Domina Adel­heid, der wegen ihrer altpreußischen Strenge gefürchteten Schwester Dub­slavs,»halb Königin Elisabeth, halb Kaffeeschwester«, wie er sich ausdrückt (5. Kap.). Die Berliner Welt jener Jahre steht uns vor Augen, etwa in den Bildern von Adolph von Menzel(1815–1905) und Anton von Werner(1843–1915) 4 , im 1897 gerade eingeweihten Kaiser Wilhelm-Nationaldenkmal von Reinhold Begas(1831–1911) einerseits, in den Zeichnungen von Heinrich Zille ande­rerseits. Die Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich lagen glor­reich zurück. Die Worte Düppel, Spichern, Königgrätz und Sedan prägten die Erinnerungen der nun alten Männer, die dabei gewesen waren. Bis­marck war ihr Gott, aber in seinen letzten Regierungsjahren auch Gegen­stand von Kritik.»Seine Größe lag hinter ihm«, schreibt Fontane an seinen Freund Georg Friedländer,»sie bleibt ihm in der Geschichte und in den Her­zen des deutschen Volkes, aber was er in den letzten drei Jahren davon ver­zapft hat, war nicht weit her«. 5 Dieses nach-bismarckische und früh-wilhelminische Berlin kurz vor der Jahrhundertwende bildet das Hintergrundrauschen des Stechlin. Von der ländlichen Ruhe der Mark aus gesehen schien es zwar fern, aber es war doch sehr nah, nur»die acht Meilen von Berlin bis Stechlin«(1. Kap.). Auf dem Land wusste man auch, mehr oder weniger deutlich, von düste­ren Seiten der Hauptstadt. Der Prozess gegen die Eheleute Heinze vor dem Berliner Schwurgericht hatte gerade 1891/92 die sündigen Abgründe Ber­lins enthüllt, die neben der offiziellen Prüderie geradezu grassierende Pros­titution, die Amüsierbetriebe, die Theater mit ihren politischen, allzu realis­tischen oder gar unsittlichen Stoffen, die Galerien voller Nacktbilder. Die vom jungen Kaiser geforderte Verschärfung des Strafrechts, die zu einer reichsweiten Protestaktion von Künstlern gegen die»Lex Heinze« führte, kam nur abgeschwächt zustande, zeigte aber doch, wie tief die Gräben zwi­schen Hof und Moderne waren. 6 Die damals noch intakt scheinende Welt der vielen Residenzen in Berlin, Dresden, München, Stuttgart, Hessen­Darmstadt, Weimar oder Sachsen-Meiningen, in der sich der Adel kannte und untereinander heiratete, war eng verquickt mit der Welt des Militärs, der Regimenter und ihrer Uniformen, die jeder Junge kannte, der mit Trom­mel, Holzgewehr und Zinnsoldaten aufgewachsen war. Jungen trugen auch »Matrosenanzüge«, parallel zum Ausbau der Kriegsflotte durch den 1897 zum Staatssekretär des Reichsmarineamts ernannten Alfred(v.) Tirpitz. Aber hinter dieser mehr oder weniger operettenhaften Sphäre standen die immer mächtiger werdenden Industrien der Stahl-, Chemie- und Elektro­branche. Seit 1886, als Carl Benz den ersten Motorwagen zum Patent