Heft 
(2020) 109
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118 Fontane Blätter 109 Freie Formen ­angemeldet hatte, kam auch die Autoindustrie hinzu, und die Luftfahrt kün­digte sich an(15.Kap.). Die rasant expandierende Industriemacht und die weltweit anerkannte Wissenschaft verbanden sich paradigmatisch in der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissen­schaften. Fontane deutet die gesamte damit einhergehende Atmosphäre parvenühafter Überheblichkeit des Hofs und der ihm nahestehenden Kreise mehrfach an. Demgegenüber scheint das altadelige Leben in der Grafschaft Ruppin, mit Gütern und Damenstiften, mit dem Herrenhaus, in ironischem Sperr­druck Schloß Stechlin genannt, ganz traditionell zu verlaufen. Im Herren­haus wohnt Dubslav von Stechlin, Major a.D. bei den Kürassieren, verwitwet seit fast dreißig Jahren. Er ist eine von Fontane liebevoll gezeichnete Figur, dem Autor ziemlich ähnlich in Humanität und Altersweisheit, ein märki­scher Adeliger comme il faut, naturhaft konservativ, aber doch gutmütig großzügig,»innerlich frei«, wie sein Sohn sagt, äußerlich ein wenig dem al­ten Bismarck in Friedrichsruh ähnelnd. Dubslavs Existenz ist jedoch brüchig wie die vieler adeliger Häuser der Zeit. Er wirtschaftet bescheiden, aber noch standesgemäß. Doch immer wieder muss Baruch Hirschfeld, Inhaber eines Modegeschäfts und Geldver­leiher, der dem Herrn von Stechlin mit einer gewissen achtungsvollen ge­schäftlichen Zärtlichkeit verbunden ist, mit Krediten aushelfen. Dessen Sohn Isidor hält davon nichts, er verkörpert die neue brutalere Geschäfts­ethik. Auch Schwester Adelheid, die das alles mit Sorge sieht, hilft mit Geld aus, aber nur ihrem Patenkind Woldemar zuliebe. Übergehen wir hier der Kürze halber, wenn auch mit großem Bedauern, den Grafen Barby, einen pensionierten Diplomaten, seine beiden in London geborenen Töchter, die verführerische und rätselhafte Märchenfigur Melu­sine, geschiedene Gräfin Ghiberti, die eigentliche weibliche Hauptfigur, so­wie ihre jüngere Schwester, die schweigsame Komtesse Armgard. Der Welt­mann Graf Barby ähnelt Dubslav von Stechlin, auch er ein»Bismarckkopf«, beide haben ihre treuen Diener, Barby den Jeserich, Stechlin den Engelke. Übergangen wird auch die Vermieterin Rieckchen Schickedanz, Witwe ei­nes Hagelversicherungssekretärs 7 , sowie der kleine Freundeskreis der Bar­bys, das Ehepaar Berchtesgaden, der Musiker Dr. Wrschowitz und der Ma­ler Professor Cujacius, Oberförster Katzler mit seiner hochadeligen Frau, Ermyntrud Prinzessin Ippe-Büchsenstein, dann die bedeutende Figur von Pastor Lorenzen, die sowohl Woldemar als auch Dubslav von Stechlin be­sonders nahesteht und sich unter anderem durch philosophischen und poli­tischen Weitblick auszeichnet. Schließlich müssen, neben vielen anderen, auch Woldemars Freunde Rex und Czako fast unkommentiert bleiben. Es ist ein Buch voller Figuren, mehr als hundert Personen, davon etwa dreißig Adlige und knapp zwei Dutzend Dienerfiguren, die namentlich genannt werden oder die eine