Heft 
(2020) 109
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120 Fontane Blätter 109 Freie Formen Kritik Fontanes kommt allerdings recht verhüllt daher, nämlich durch senti­mentale Erinnerungen an die Heilige Allianz, an sein altes nach dem Zaren Nikolaus benanntes Kürassier-Regiment Nr. 6, und so gegenüber Czako: »Ich sage Ihnen, Hauptmann, das waren Preußens beste Tage, als da bei Potsdam herum die ›russische Kirche‹ und das ‚russische Haus gebaut wur­den, und als es immer hin und her ging zwischen Berlin und Petersburg. Ihr Regiment, Gott sei Dank, unterhält noch was von den alten Beziehungen []«(4. Kap.). Mehr erlaubt sich Fontane nicht, weniger aus Rücksicht auf die Reichsregierung als um zu zeigen, in welcher Erinnerungswelt der unpoliti­sche Herr von Stechlin lebt. c) Was die adeligen Offiziere, was Dubslav selbst und seine adelsstolze erz­konservative Schwester Adelheid beschäftigt, ist die Rolle des Adels gene­rell, sowohl gegenüber dem neuen Verdienst- oder Briefadel(3. Kap.) als auch mit Blick auf die Rolle des märkischen Adels insgesamt. Der späte ­Fontane war überzeugt, dass dem Adel, ja der ständisch gegliederten Ge­sellschaft insgesamt, keine Zukunft beschieden sei.»Na, solange ich hier sitze, so lange hält es noch. Aber freilich, es kommen andre Tage«, lässt er Stechlin sagen(5. Kap.). Die wirtschaftliche Lage des Adels ist schlecht 10 , das Bürgertum dringt vor oft in Gestalt eines aufdringlichen Bourgeois. Die gesellschaftlichen Unterschiede schwinden(39. Kap.). Der Hof und die Militärs leben in einer Scheinwelt, die friderizianische Glanzepoche, an die in Rheinsberg so viel erinnert, ist verschwunden. Auch beim Militär gibt es auf den Offiziersstellen einerseits Bürgerliche, andererseits»Prinzen«, die dort nach dem Selbstverständnis des märkischen Adels eigentlich nicht hingehören(2. Kap.). Aber»noch« hält alles, zusammengehalten durch Er­ziehung, Orden, Titel. Die alten Spannungen zwischen Adel und Staat( Gou­vernementale und Feudale) klingen ab, das Bürgertum übernimmt(recht und schlecht) den adeligen Lebensstil, die Amtspersonen(Lehrer, Förster, Inspektor, Gendarm) fügen sich. Sowohl der alte Graf Barby als auch Dubslav von Stechlin stehen den modernen»Raffkes«, der Industrie und der Angeberei des Kaisers fremd gegenüber. Was ihre eigene Klasse angeht, den Adel, so sehen sie ihn diffe­renziert. Seine überlieferten Tugenden bejahen und leben sie selbst, aber sie wissen auch, dass diese Klasse und ihre Tugenden keine tragende Säule des Gemeinwesens mehr sein können. Sowohl Militär als auch Beamtentum ver­ändern sich nun in Zusammensetzung und Gesinnung. Die ehemals herr­schenden Schichten haben weder den Willen noch die Fähigkeiten, wirklich zu»herrschen«. Als die Nachwahl zum Reichstag verloren ist, setzen sich die Herren zu Tische und»eigentlich ein jeder dachte: Siegen ist gut, aber Zu­Tische-Gehen ist noch besser«(20. Kapitel). Rittergutsbesitzer, Domänen­pächter, Gerichtsräte, zugleich Reserveoffiziere, Forst- und Steuerbeamte, Rentmeister, Prediger und Gymnasiallehrer, vor allem aber der Edle Herr