122 Fontane Blätter 109 Freie Formen Dreiklassen-Metaphorik des Bienenstaats, die ihm der Schulmeister Krippenstapel erläutert und bei der die männlichen Drohnen aus Klasse drei schlecht wegkommen; denn»im übrigen tun sie gar nichts«(5. Kap.). Auch kunsthistorisch will er sich nicht von einem Schulmeister belehren lassen. Fontane karikiert das preußische Beamtentum nur vorsichtig, kritisiert es zwar nicht explizit, aber Bewunderung für das etwas leichtlebigere Süddeutschland klingt durch, etwa wenn die Baronin Berchtesgaden zu Wort kommt. Der Staat auf der unteren Ebene, Schulze Kluckhuhn, Wachtmeister Pyterke von der reitenden Gendarmerie, Fußgendarm Uncke, der devot alles dem Staat Verdächtige aufschreibt, sind keine unsympathischen, sondern eher possierliche Figuren. Sie bilden den»Staat« und sind lenkbar durch Beförderungen und Verdienstkreuze. Ein schräges Lob der Polizei kommt von der»Dienstbotin« Hedwig, die etwas zu viele Männererlebnisse hat: »Ach, Frau Imme«, sagt sie,»die Polizei is doch ein rechter Segen. Wenn wir die Polizei nicht hätten(und sie sind ja auch immer so artig gegen einen), so hätten wir gar nichts«(14. Kap.). f) Geradezu idiosynkratisch ist Fontanes Distanz zum aufsteigenden Bürgertum. Während er den märkischen Adel als geschlossene Lebensform akzeptiert, auch wenn diese über kurz oder lang verschwinden wird, so ist ihm das profitorientierte Bürgertum, die Bourgeoisie pur, besonders unangenehm.»Ein Musterstück von einer Bourgeoise« sagt Professor Schmidt von Frau Jenny Treibel. 12 Im Stechlin ist es Herr von Gundermann, eine Figur von einer gewissen Schläue, glatt und intrigant, äußerlich erzkonservativ, etwa durch Verteidigung des Drei-Klassen-Wahlrechts(20. Kap.), durch Kritik an der Sozialdemokratie und am neuen Reichstagsgebäude. Als frisch Nobilitierter gehört er zwar formal zur herrschenden Schicht, wird aber vom märkischen Adel als»Esel« belächelt.»Seine Mutter war’ne Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er sich auch immer vor«, sagt Herr von Molchow verächtlich. Auch Pastor Lorenzen lehnt ihn ab:»Gundermann ist ein Bourgeois und ein Parvenu, also so ziemlich das Schlechteste, was einer sein kann. Ich bin schon zufrieden, wenn dieser Jämmerling unterliegt«. Und Frau von Gundermann passt dazu. Sie ist die Karikatur einer reich gewordenen Berliner Kleinbürgerin, auch in der Sprache, arglos plappernd, um Bildung und um das Erlernen der Tischregeln bemüht;»eigentlich hatte sie für nichts Interesse, sie mußte bloß, richtige Berlinerin, die sie war, reden können«(4. Kap.). Richtig entfaltet worden wäre dies gewiss in dem geplanten Roman Die Gundermanns.
Heft
(2020) 109
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