Heft 
(2020) 109
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124 Fontane Blätter 109 Freie Formen wittert schon in roten Strümpfen Keckheit und»den gesellschaftlichen ­Niedergang«. 16 Selbst Prinzen können»Sonen Schimmer von Sozialdemo­kratie« annehmen, aber nur einen Schimmer,»die verbebeln nicht leicht« (2. Kap.). Das gilt übrigens auch, wie der Offizier Czako sagt, für»die richti­gen Junker«, denn die haben ein soziales Gewissen im Leibe»ein Stück So­zialdemokratie. Wenn sie gereizt werden, bekennen sie sich selber dazu«. Weniger im Leibe, mehr in den Köpfen haben es die Intellektuellen. Sie sind als Nichtbesitzende offenbar anfälliger für das Soziale. Pastor Lorenzen wird wegen seiner Ansichten nachgesagt, er sei»beinah Sozialdemokrat« (13. Kap.). Ähnlich sagt in»Frau Jenny Treibel«(13. Kap.) der Gymnasialpro­fessor Willibald Schmidt zu seiner Tochter»Corinna, wenn ich nicht Profes­sor wäre, so würd ich am Ende Sozialdemokrat«. Ja, gewiss, Pastor Loren­zen will seine Pfarrstelle behalten, Herr Schmidt seine Professur, aber sie sehen das Besitzbürgertum sehr kritisch und wissen, dass mit der sozialen Bewegung die mächtigste Tendenz der Zeit auf die Bühne drängt. Dieses Gespenst der Gleichmacherei und des politischen Umsturzes will herrschen, fürchtet man,»will auch hoch raus und so zu Pferde sitzen wie Pyterke, bloß noch viel höher«(41. Kap.). Angst vor dem Gespenst haben vor allem Typen wie Gundermann, die Kompromisse für Schwäche halten, denn politische Schwäche leite»Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie«, so die ständige Redensart(3. und 4. Kap.). Deshalb müsse man»stramm« dagegenhalten, gegen die»Bebelschen« oder die»Torgelowschen«(41. Kap.). Das ist obwohl kurz vor der Jahrhundertwende immer noch im Geiste von Bismarcks Unterdrückungspolitik von 1878, die eigentlich längst als ge­scheitert erkannt sein sollte. Innerhalb der durch Unterdrückung gestärkten Sozialdemokratie hat inzwischen die revisionistische Richtung von Eduard Bernstein die Mehrheit gegenüber den Kommunisten(»Likedeeler«) 17 ge­wonnen. Aber in den Köpfen der herrschenden Klasse hat sich das Bild einer drohenden Revolution festgesetzt der rote Hahn, der bei welthistorischen Ereignissen aus dem Stechliner See aufsteigt und»laut in die Lande hinein« kräht(1. Kap.). Aber auch für Fontane selbst ist das Thema der»Revolution« ein Leitmotiv, wie Eda Sagarra gezeigt hat. 18 Indem Fontane in den Dialogen seines Romans die Ängste des Adels, der Kirche und des Bürgertums vor der Sozialdemokratie spiegelt, drückt er subtil aus, dass die alten herrschenden Schichten nicht mehr lange den Staat tragen können und dass die neuen Besitzenden, die sich den alten Schichten durch Heirat, Nobilitierung oder Gesinnung anschließen, in deren Sturz mit hinein gerissen werden. In Briefen drückt sich Fontane drastischer aus, so 1896 an James Morris: Der Bourgeois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken, immer wieder dasselbe. Diese neue, bessere Welt fängt erst beim vierten Stand an. Man würde das sagen können, auch wenn es sich bloß erst um Be­strebungen, um Anläufe handelte. So liegt es aber nicht, das, was die