132 Fontane Blätter 109 Freie Formen Da wär‘ ein Dampfschiff gemietet worden, und die ganze Spree hinauf, an Treptow und Stralow und dann an Schloß Köpenick und Grünau vorüber, wären sie bis in die Einsamkeit gefahren, bis an eine Stelle, wo nur ein einziges Haus mit einem hohen Schilfdach dicht am Ufer gestanden habe. Da wären sie gelandet und hätten Reifen gespielt. Ihr aber sei das Herz so zum Zerspringen voll gewesen, daß sie nicht habe mitspielen können, wenigstens nicht gleich, weshalb sie sich unter eine neben dem Hause stehende Buche gesetzt und durch die herabhängenden Zweige wohl eine Stunde lang auf den Fluß und eine drüben ganz in Ampfer und Ranunkeln stehende Wiese geblickt habe, mit einem schwarzen Waldstreifen dahinter. Und es sei so still und einsam gewesen, wie sie gar nicht gedacht, daß Gottes Erde sein könne. Nur ein Fisch sei mitunter aufgesprungen und ein Reiher über die Wasserfläche hingeflogen. Und als sie sich satt gesehen an der Einsamkeit, habe sie die andern wieder aufgesucht und mit ihnen gespielt; und sie höre noch das Lachen und sähe noch, wie die Reifen in der Sonne geblitzt hätten. 7 Vom Erzähler in die Vergangenheit entrückt und im Konjunktiv wiedergegeben, scheint Stines Erinnerung an die Landpartie nur traumhaft auf und charakterisiert das genügsame, schlichte, der heimischen Landesnatur zugetane Wesen der jungen Frau, mehr nicht. 8 Den Namen»Hankels Ablage« registriert Fontane zunächst also nur ganz beiläufig wie einige andre»wunderlich benannte Punkte«. 9 In der Novelle verschweigt er ihn ganz. Auch die Gastlichkeit der Stelle thematisiert er noch nicht. Bloß von einem»Gehöft« oder»Haus mit einem hohen Schilfdach« ist die Rede, alles ist auf die Einsamkeit und Stille des Ortes und das glücklich-ungetrübte Verweilen dort abgestellt. Das ändert sich grundlegend in Irrungen, Wirrungen, dem Roman, den Fontane 1882, ein Jahr nach Stine zu konzipieren beginnt und im Wechselspiel mit dieser vollendet. Zunächst ist die Stelle auch für Lene traumhaft schön, bis dann, bald schon, alle Illusion in Ernüchterung umschlägt und zerschellt. Auch Lene fühlte sich sofort angeheimelt und nahm in einer verandaartig vorgebauten Holzhalle Platz, deren eine Hälfte von dem Gezweig einer alten, zwischen Haus und Ufer stehenden Ulme verdeckt wurde. »Hier bleiben wir«, sagte sie.»Sieh doch nur die Kähne, zwei, drei … und dort, weiter hinauf kommt eine ganze Flotte. Ja, das war ein glücklicher Gedanke, der uns hierher führte.« 10 Schon als Fontane dies Umschlagen des Liebesidylls in herbe Ernüchterung plante und sann, wo es am besten anzusiedeln sei, fiel seine Wahl auf Hankels Ablage. Hatte er sich seines Eindrucks von der Örtlichkeit mit dem sonderbaren Namen Jahre zuvor entsonnen, eines Namens, in dem sich – ähnlich wie schon in der Brache hinter der Gärtnerei – Freiland und Schutthaufen zu mischen schienen? Hatte ihn ein Inserat Gastwirt Käppels in der
Heft
(2020) 109
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