Heft 
(2020) 109
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148 Fontane Blätter 109 Rezensionen lichen, insbesondere traumatheoretisch und psychoanalytisch eingefärbten Zugriffen. In dem sich durch die Studie ziehenden Begriff des»traumatischen Prä­sens« werden diese Zugänge verbunden. Hückmann bezeichnet damit das Phänomen des Präsenswechsels in retrospektiv erzählten Texten und zwar an solchen Stellen, wo die Veränderung des Tempus sowohl eine grammatikalische als auch inhaltliche Zäsur bzw. Störung bedeutet, weil gerade die Rache wesenhaft aus einem vergangenen Verlust entsteht, aber die Zeiten überdauert. Rache sei»einer Art Schläferzelle gleich, die sich je­derzeit wieder aktivieren kann«(S. 40). Als Beispiele hierfür dienen der Ver­fasserin u. a. der Prolog und die Nemesis-Prophezeiung in der Judenbuche, die in ihrer ambivalenten Zeitlichkeit den temporalen Rahmen der Novelle überschreiten würden, während etwa der überraschende Präsenseinsatz beim Fund von Aarons Leiche die inhaltliche Erschütterung sprachlich ab­bilde. In Auseinandersetzung nicht nur mit dem»Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen«, sondern auch darüber hinaus besticht die Arbeit immer wieder durch philologisch genaue sowie informierte Text- und For­schungsarbeit. Dennoch erweist sich die bloß kursorische Beschäftigung mit der wie unlängst zusammengefasst 3 ziemlich weitreichenden rechts­historischen Dimension der Judenbuche als Manko; darüber hinaus hängen Ausmaß und Validität von Rache in der Novelle entscheidend an deren zahl­losen Uneindeutigkeiten, Unstimmigkeiten und Ungeklärtheiten(z. B.: Wer ist Aarons Mörder? Wer ist der Erhängte an der Judenbuche? War es Ra­che?), so dass sich hier und insgesamt fragen lässt, ob und unter welchen Prämissen ›Rache‹ einen Zugang zum Kern der Texte sowie der Debatten um diese ebnet. In der Analyse von Grete Minde liegt der Schwerpunkt mithin naturge­mäß auf dem Schluss. Dass Rache allgemein dort entsteht, wo die Justiz in ihrem Anspruch, gerecht zu urteilen, versagt, aber trotzdem als alternative Handlungsoption verurteilt wird, kann Hückmann an Fontanes Novelle pa­radigmatisch aufzeigen. Gretes Rachephantasien deutet sie als»mimeti­sches Begehren«, das die Protagonistin aus den von ihr rezipierten»Modell­texten«(das Märchen vom Machandelboom, Das Jüngste Gericht) entwickle und in eine»Zitatcollage der Zerstörung« umsetze(S. 94, 114). Jene berühm­te Stelle in Grete Minde, an der die Erzählinstanz in perspektivischer Dis­tanzierung bei Gretes Brandlegung in den Konjunktiv I(!) wechselt(»Sie bückte sich und tappte nach ihrem Bündel,[] und als sies gefunden und sich wieder aufgerichtet hatte, gab es im Dunkeln einen blassen, bläulichen Schein, wie wenn sie einen langen Feuerfaden in ihrer Hand halte«), 4 er­scheint der Interpretin als»Moment, in dem der Text selbst für einen Augen­blick wie vom Wahnsinn ergriffen wird« und einen»Modus des Irrealis« installiere(S. 112). Derartige Formulierungen mögen wie die verschiedent­lich im Buch auftretenden raunenden Kursivierungen(vgl. z. B. S. 113, 121)