Dania Hückmann: Rache im Realismus Böttcher 149 einen gewissen suggestiven Sog entfalten, narratologisch und linguistisch präzise sind sie nicht. Ihre unbestreitbaren Stärken demonstriert die Studie insbesondere da, wo sie sich behutsam und genau analysierend am Text bewegt – etwa, wenn sie veranschaulicht, wie die mechanische Ritualisierung der Duellhandlung in Effi Briest vom Roman zugleich sprachlich in einem reduzierten Protokollstil gespiegelt wird(vgl. S. 186f.). Ein Bedürfnis nach Rache oder das Gefühl, eine rechtmäßige Rache vollzogen zu haben, geht Geert von Innstetten vor und nach dem Duell vollkommen ab. Jene Rache – so die hier klar herausgearbeitete Pointe –, die durch das Duell eigentlich absorbiert werden soll, wird durch dieses vorgeschrieben, d. h. überhaupt erst hervorgebracht. Sprachlich und gedanklich gefangen in der ›Grammatik des GesellschaftEtwas‹(vgl. S. 185) fühlt sich Innstetten zu einem gesellschaftlich ritualisierten Racheakt gezwungen, den er nicht will und der ihm entsprechend keine Genugtuung verschafft. Dass das Duell, auf dessen nicht zuletzt versöhnenden Charakter Hückmann mit Ute Frevert hinweist(vgl. S. 152), bei Crampas jedoch zugleich als resignative Versöhnung mit der gesellschaftlichen Ordnung gezeichnet ist, 5 wird höchstens angedeutet. Mag es sich bei Effi Briest, wie die Verfasserin selbst anmerkt, auch nicht um eine»Rachegeschichte im eigentlichen Sinne« handeln(S. 192), wird deutlich dargelegt, dass der Roman nicht trotz, sondern wegen seiner Rache-Leerstelle in einer Literaturgeschichte der Rache im Realismus nicht fehlen darf. Für die Lyrik(z. B. Milton’s Rache, Die Füße im Feuer) und Dramatik der Zeit(Grabbe, Grillparzer, Hebbel), aber ebenso für andere Erzähltexte(etwa Raabes Die Innerste, Meyers Der Heilige oder gar Marlitts Reichsgräfin Gisela) gilt es, dieses Forschungsfeld weiter auszuschreiben. Philipp Böttcher Anmerkungen 1 Theodor Fontane: Vor dem Sturm. Roman aus dem Winter 1812 auf 13 . GBA 2011, S. 41. 2 Vgl. Charlotte Kurbjuhn: Der Auftritt des Rächers bei Schiller und Kleist als Auftritt der Moderne . In: Kleist-Jahrbuch 2019, S. 91–118. 3 Vgl. Ulrich Gaier/Sabine Gross: Herausforderung der Literaturwissenschaft. Droste-Hülshoffs»Judenbuche«. Stuttgart 2018, S. 72–82. 4 Theodor Fontane: Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik. GBA 1997, S. 114. 5 Vgl. Theodor Fontane: Effi Briest . GBA 1998, S. 282, 287.
Heft
(2020) 109
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten