Heft 
(2020) 110
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Fontanes Fronde gegen Manteuffel  Muhs 49 keiner so isolirten Lage wie eben jetzt: es hatte England zur Seite, dessen Freundschaft in diesem Augenblicke mehr als zweifelhaft ist. Und wenn wir einen Bundesgenossen fänden, glaubt man wirklich, daß es zum zweiten Male gelingen würde, gegen mehr als halb Europa siegreich im Felde zu ­stehen? Wir lassen die Gestalt des großen Friedrich, der ein Heer neben seinem Heere war, aus dem Spiel, wir verweisen nur auf eins: es giebt keine schlechten Armeeen mehr. Auf die Ungeschicklich­keit eines Marschall Soubise, auf die Feigheit einer Reichsarmee, auf die Stumpfheit russischer Horden ist hinfort nicht mehr zu rechnen, eben­bürtig stehen sich heutzutage die europäischen Heere gegenüber, selbst Napoleon mußte schließlich fühlen, daß die Masse entscheidet. Wir überlassen es hiernach einem Jeden, im Fall eines Krieges unsere Aus­sichten auf Erfolg zu berechnen, und geben nur den Leuten noch, die nicht müde werden, das Wort von ›preußischer Ehre‹ wie einen Schlacht­ruf laut werden zu lassen, das Eine zu bedenken, daß es, trotz ihnen, preußische Männer sind, in deren Hand die Entscheidung gelegt ist, aber Männer freilich, die in einer äußersten Lage sich heilig verpflichtet glau­ben, das Aeußerste abzuwarten. Das ernste Kriegsspiel ist in diesem Au­genblicke ernster denn je, nur die unzweifelhafte Herausforderung, die plumpste Verhöhnung würde es rechtfertigen und wird es vielleicht. 16 Dass ein solcher Ausgang dem Verfasser am liebsten wäre, kann der Auf­tragstext trotz aller gegenläufigen Argumente kaum verhehlen. So kam es aber nicht. Vielmehr gab Berlin den Befehl zum Rückzug, als österreichisch­bayerische Interventionstruppen die durch Kurhessen führenden Etappen­straßen in die preußischen Westprovinzen bedrohten und am 8. November 1850 in der Nähe von Fulda schon ein erster militärischer Zusammenstoß erfolgt war. Noch Jahrzehnte später sollte Fontane»die Schlacht von Bron­zell« als dasjenige historische Ereignis benennen, das ihm am meisten miss­fallen habe. 17 Der offenkundige Widerwille, sich zu Zwecken der Stimmungsmache für eine von ihm abgelehnte Politik missbrauchen zu lassen, dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass der Dichter das Schreiben von Korrespon­denzen schon bald nach seinem Eintritt in das Literarische Kabinett wieder einstellte. Dass er in seinem Rechenschaftsbericht vom 6. November 1850 aber auch den»Mangel an neuen und sichren Nachrichten« für seine Passi­vität verantwortlich machte 18 , übte zugleich vorsichtig Kritik an der restrik­tiven Informationsfreigabe. Fraglos ist dem missmutigen Regierungsjour­nalisten daher zu bescheinigen, dass seine Zutaten zur publizistischen Auf­bereitung von Manteuffels Kurs in der Unionskrise der besonderen Würze entbehrten. Mitgerührt an der»Schandbrühe« hat er aber schon. Da der Öffentlichkeit Einzelheiten über das Gerangel hinter den Kulis­sen weitgehend verborgen geblieben waren, machte sich Fontane, dessen Tagebücher sonst fast nur stichwortartige Einträge enthalten, sofort eine