50 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ausführliche Gedächtnisnotiz, als sein Londoner Vorgesetzter Graf Bernstorff, der seinerzeit als preußischer Gesandter in Wien eine Konfrontation befürwortet und darüber seinen Posten verloren hatte, ihm sieben Jahre später eine»Schilderung der November-Vorgänge von 1850« gab: Der Prinz von Preußen war damals für Krieg, mit ihm Radowitz und ein andrer Minister, ich glaube Ladenberg; der König sprach für den Krieg, hatte aber von Herzen den Wunsch nach friedlicher Beilegung. Deshalb erklärte er, daß er sein eignes Urtheil von dem Urtheil der Majorität abhängig machen wolle. Die Majorität war für den Frieden. Der Prinz von Preußen war es, der dem alten Brandenburg(der in Warschau natürlich eine traurige Rolle gespielt hatte) Landesverrath vorwarf. Das Ganze muß eine wunderbare Sitzung gewesen sein. Vor allem friedfertig, war der – Kriegs minister(Stockhausen). Seine Parthei(Stahl-Gerlach) wollte den Frieden à tout prix. 19 Die konservativen Doktrinäre um die Kreuzzeitung, allen voran Julius Stahl und Ludwig von Gerlach, aber auch der junge Otto von Bismarck, betrachteten die Unionspolitik mit ihrer nationalen Zielsetzung als quasi-revolutionär. Dass deren Aufgabe unter den gegebenen Umständen einer Demütigung Preußens durch Österreich gleichkam, waren sie in Kauf zu nehmen bereit, wenn so nur endlich der vollständige Bruch mit allem, was nach 1848 roch, erzwungen werden konnte. Der Prinz von Preußen, Bruder des kinderlosen Friedrich Wilhelm IV. und mithin Thronfolger, der 1861 als Wilhelm I. König und 1871 Deutscher Kaiser werden sollte, argumentierte dagegen, ein Waffengang sei aus Gründen der Selbstachtung unerläßlich, gleich welche Deutschlandpolitik man im weiteren verfolgen wolle. Sein Vorwurf gegenüber dem Grafen Brandenburg bezog sich darauf, dass der Ministerpräsident(ein illegitimer Sohn Friedrich Wilhelms II. und somit der Onkel des regierenden Monarchen und seines Erben) sich bei einem Treffen mit dem Zaren Ende Oktober zum Nachgeben hatte nötigen lassen. Angegriffen von den Verhandlungen in Warschau und mehr noch von seinen Widersachern in Berlin, erlag Brandenburg einige Tage später einem Herzschlag. Nachdem Radowitz bereits unmittelbar nach dem entscheidenden Kronrat vom 2. November als Außenminister zurückgetreten war, konnte Manteuffel nunmehr beide beerben. Am 29. November 1850 unterzeichnete er in Olmütz ein Abkommen mit Österreich, das Preußens Kapitulation besiegelte. Weiterungen der Wende im Presseamt Fontane und seine gleichgesinnten Kollegen mußten diesen Ausgang mit ohnmächtigem Ingrimm zur Kenntnis nehmen. So vermessen, dass sie offen gegen den Gang der großen Politik protestiert hätten, wie es sich in seiner
Heft
(2020) 110
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