Heft 
(2020) 110
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Fontanes Fronde gegen Manteuffel  Muhs 53 bieten: Nach London entsandt, um die Politik der Reaktionsregierung zu propagieren, verhalf der preußische Presseagent zum Schluß seines Eng­landaufenthalts einem ihrer langjährigen Kritiker zu internationaler Publi­zität. Dies alles lag freilich im Herbst 1850 noch in weiter Zukunft. Fontanes Hoffnung, wie es in einem Brief vom 19. November geheißen hatte, die nächsten Tage würden»so Gott will das Abtreten des Ministeriums« Man­teuffel bringen 28 , verkehrte sich in Niedergeschlagenheit, als statt dessen die Nachricht von Olmütz kam. Die subalternen Unionsfreunde und Quehl­Gegner im Literarischen Kabinett waren inzwischen ganz auf sich allein gestellt. Nach Meysenbug und Merckel war Mitte November 1850 auch Lud­wig Hahn ausgeschieden, ein junger Historiker, der neun Monate lang die regierungsnahe Deutsche Reform redigiert hatte, aber nicht zusehen woll­te, wie deren programmatischer Titel mit der Wiederbelebung des vor­märzlichen Bundestages einen satirischen Beiklang anzunehmen drohte. 29 Die Erinnerung an die gemeinsam durchlebten Krisenwochen dürfte es Fontane 1870 leichter gemacht haben, bei Bismarcks»Preß-Hahn«, als der er inzwischen bekannt war, wegen einer Subvention vorstellig zu werden, die sich schließlich zu einer lebenslänglichen Pension auswachsen sollte. Die Odyssee des Selig/Paulus Cassel Hahns Nachfolger als Redakteur der Deutschen Reform, die bald nach Auf­gabe der Unionspolitik in Preußische Zeitung umbenannt wurde, war Selig Cassel geworden, ein approbierter Rabbiner ohne Anstellung und Vermö­gen, dessen materielle Existenz, ähnlich wie die Quehls und Fontanes, ganz von Manteuffels Wohlwollen abhing und der daher die Gewähr zu bieten schien, dass sich das seit längerem in Staatsbesitz befindliche Blatt nicht weiter redaktionelle Unabhängigkeit anmaßen würde. Obwohl es unausge­sprochen blieb, kann doch kein Zweifel bestehen, dass die Vorbehalte der Presseamtsmitarbeiter gegen eine Verschmelzung mit der Deutschen Re­form sich auch gegen die Religionszugehörigkeit von deren neuem Redak­teur richteten. 30 Denn ungeachtet seiner prinzipiellen Befürwortung einer rechtlichen Emanzipation der jüdischen Minderheit und ihrer kulturellen »Amalgamierung« dürfte Fontane auch damals schon gedacht haben, was er später in die Worte fassen sollte:»aber regiert will ich nicht von... Juden sein.« 31 Es ist jedoch mehr als fraglich, ob judenfeindlich motivierte Obstruk­tion der Grund war, dass Cassel schon im Januar 1851 von der Redaktion der Deutschen Reform zurücktrat. Journalismus als Beruf lag ihm nämlich im Grunde ebensowenig wie Fontane. Zwar ließ er sich noch einmal zur Wie­deraufnahme seines Postens bewegen, schied aber Ende März 1851 definitiv