Heft 
(2020) 110
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54 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte aus, um die weniger aufreibende Leitung der von der Centralstelle subven­tionierten Erfurter Zeitung anzutreten. In dieser Funktion sollte es Fontane doch noch mit Cassel zu tun bekommen, da ihm bei seiner Wiedereinstel­lung Anfang November aufgetragen wurde, das Thüringer Blatt mit offizi­ösen Nachrichten zu versorgen.»Korrespondenzenschmadderei« 32 war aber nun einmal seine Sache nicht, und so mußte der Redakteur der Erfurter Zei­tung schon wenige Wochen später in Berlin anfragen,»warum Herr Fonta­ne, nachdem er zwei oder drei Briefe geschrieben, bereits wieder ins Sto­cken gerathen ist?« 33 Lustlos machte sich der Dichter daraufhin von neuem ans Werk, bis er der verhassten Tätigkeit im April 1852 nach London entflie­hen konnte. Cassel selbst tat ebenfalls alles, den Pressebetrieb hinter sich zu lassen. Eine zeitweilige Nebenbeschäftigung als Bibliothekar in Erfurt führte zwar nicht gleich zu der erhofften festen Anstellung, doch dass er sich zu Pfings­ten 1855 taufen ließ auf den doppelt symbolträchtigen Namen Paulus ­Stephanus, half. Seinem zum Jahresende gestellten Antrag, bei fortlaufen­dem Gehalt von der Redaktionstätigkeit freigestellt zu werden, mochte die Centralstelle zwar nicht in vollem Umfang zustimmen, suchte ihm aber doch entgegenzukommen. Schließlich habe sich Cassel zu einem Zeitpunkt der Deutschen Reform angenommen, wo politische Constellationen wie die damaligen Preßverhältnisse ihn zum Stichblatt der empfindlichsten Angriffe machten. Er hat mit Muth und Hingebung die oft sehr harten Verunglimpfungen ertragen Verun­glimpfungen, die nicht ohne Rückwirkung auf spätere Zeiten geblieben und einen Wechsel auch in die Verhältnisse trugen, in welche er sich spä­ter zurückzog. So sehr hier also seine Bereitwilligkeit und Hingebung anzuerkennen ist, so verdient andererseits seine Bescheidenheit Lob, mit der er einer Stellung entsagte, für welche er sich körperlich wie geistig nicht gewachsen zeigte, indem er weder das Maß von Aufregung ertra­gen, noch bei seinen vielen schätzenswerten politischen Kenntnissen den Grad von Gewandtheit erreichen konnte, die bei der Leitung eines gro­ßen Organs einerseits schwer zu vermeiden, andererseits nicht leicht zu entbehren sind. Auch bei der Erfurter Zeitung, so das Gutachten der Centralstelle weiter, habe Cassel aber immer das Gefühl gehabt, nicht am richtigen Platz zu sein, sei jedoch mangels sonstiger Einkünfte außer Stande gewesen, die Redak­tion aufzugeben. Nur mit staatlicher Unterstützung könne es ihm gelingen, sein Talent anderweitig zur Geltung zu bringen und seiner Individualität entsprechend zu wirken. Dass ausgerechnet Ludwig Metzel, seit 1853 ope­rativer Leiter der Centralstelle, diese für preußische Verhältnisse uncha­rakteristisch generöse Empfehlung abgab, mag auch seinem schlechten Gewissen wegen Beteiligung an der»ganz gehorsamsten Vorstellung« vom Dezember 1850 geschuldet sein.