einer wirklichen Hauptstadt des Deutschen Reiches ist. Vielleicht fehlen die Mittel, gewiß die Gesinnung". Er beklagte wiederholt die schlechte Luft, die ihn beinahe erstickt, vornehmlich im Sommer. Ein andermal schimpft er Berlin »eine miserabel langweilige Stadt".
Und doch verließ er sie nie auf lange Dauer, und fast alle seine Romane spielen in ihr. Gegenwartsliteratur damals.
Ob wir wohl Effi Briest und Innstetten, Stine, Jenny Treibel, den Stechlin hätten, wenn der dreißigjährige Theodor Fontane im November 1849 dem Arzt und Publizisten Georg Günther auf dessen Angebot, mit ihm gemeinsam nach Amerika zu emigrieren, anders geantwortet hätte als: »Ich gedenke auszuhalten: einmal, weil ich noch hoffe, dann aber auch, weil ich übersiedelnd in die Neue Welt, Bande zerreißen müßte, die mich mit meinem eigentlichen Leben an unsere deutsche Erde fesseln. Wir sind nicht alle gleich in dem, was das Herz begehrt, und die Freiheit und Unabhängigkeit, die der eine draußen in der Welt sucht, findet der andere in dem Freistaat der Kunst und Wissenschaft. Ich liebe die deutsche Kunst. Das ist mein eigentliches Vaterland, und es aufgeben, s i e aufgeben hieße mich selbst aufgeben".
Wir können Fontane nur dankbar sein, daß er durchhielt. 1849 und später. Denn auch als seine großen Romane erschienen waren, änderte sich zwar seine Situation finanziell etwas, aber illusionslos bekennt er dem Amtsgerichtsrat Georg Fried- laender 1889: »Ich habe, ein paar über den Neid erhabene Kollegen abgerechnet, in meinem langen Leben nicht 50, vielleicht nicht 15 Personen kennengelernt, denen gegenüber ich das Gefühl gehabt hätte: ihnen dichterisch und literarisch wirklich etwas gewesen zu sein. Im Kreise meiner Freunde hier (oder gar Verwandten) ist nicht einer ... Vergegenwärtige ich mir das alles, so habe ich allerdings Ursach, über den Verkauf von lumpigen 1000 Exemplaren erstaunt zu sein. Und mehr als 100 werden auch wirklich aus dem Herzen heraus nicht verkauft, das andere ist Zufall, Reklame, Schwindel ... Manchen mag diese Betrachtung quälen, mich quält sie nicht".
Hier schwindelt er. Auch ihm wuchs Poeteneitelkeit. Doch ich bin froh, von ihm angehalten zu werden, zu prüfen, wie vielen man gegenüber das Gefühl haben darf, ihnen wirklich etwas gewesen zu sein. Ob nun literarisch oder anderweitig. Kommen da überhaupt 15 zusammen? Oder nur 5?
Nicht weniger bewegte mich eine Bemerkung aus einem seiner letzten Briefe: »Groß ist doch schließlich nur, wer die Menschheit ein paar Kilometer weiterbringt."
Und nicht der, der sich bemüht, sie auszurotten, sei mir erlaubt von heute aus hinzuzufügen. Fontane würde bestimmt cest tout mon coeur beipflichten, obwohl es von ihm heißt, er habe manchen enttäuscht.
Brigitte Birnbaum, geboren 1938 in Elbing, war nach dem Abitur zunächst als Apothekenhelferin tätig, studierte von 1961 bis 1964 am Literaturinstitut »Johannes R. Becher' in Leipzig und lebt seit 1969 als freischaffende Autorin in Schwerin. Sie gehört dem Vorstand des Schriftstellerverbandes der DDR an und hat ihr künstlerisches Schaffen nahezu ausschließlich dem Kinderbuch und dem Fernsehspiel für Kinder gewidmet. In einigen ihrer Erzählungen macht sie die jungen Leser mit den Lebens- und Schaffensproblemen bedeutender Künstlerpersönlichkeiten bekannt.
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