Heinz Knobloch, Berlin
Seine Birnen
Es war wohl „Herr von Ribbeck" im Schullesebuch. Das Gedicht gefiel mir. Man sah alles. Das war ein tiefer Sinn, den schon das Kind spürte. Diese Aufforderung zum Weitergeben. Die bringt uns zum Schreiben.
Da war noch ein anderes Gedicht. Jemand las es vor aus einem der ersten Lesebücher nach dem Krieg. „John Maynard", das hohe Lied der Menschlichkeit. Es soll das beliebteste Gedicht sein, heißt es, bei unseren Schulkindern heute.
Eines Tages ist der Mensch so erwachsen, daß er Briefe lesen kann. Von Goethe, Heine, Kafka und Fontane. Dort Sätze finden zum Mitnehmen. „Alles Heldentum ist begrenzt", lautet einer dieser herrlich absoluten Fontane-Sätze, die zitiert zu werden verlangen. Was macht es, wenn der Dichter seine erkältete Frau meinte, der am Morgen „so düselig" wurde, daß sie sich wieder zu Bett legte. Alles Heldentum ist begrenzt. Wir wollen es weitersagen.
Den schönen Satz „Der Berliner zweifelt immer" nutzte ich als Titel einer Berliner Feuilleton-Anthologie. Daß er auf dem Plakat einer Bibliothek, die so eine Lesung ankündigte, das Mißfallen örtlicher Kultur-Zuteiler erregte, war edle Honorierung.
Fontanes „Heiteres Darüberstehen" brauchte ich, um über Jahre hinweg Feuilletons schreiben zu können . ..
Dann gab es die acht Bände Romane und Erzählungen. Ich las sie nacheinander und nach und nach. Fand dort meinen Namensvetter, den Wilddieb, der einen Förster erschossen hatte. Fontane gab dem Mörder einen anderen Namen, mir aber für mein Buch „Berliner Grabsteine" das einzigartige, mir vom Fontane- Archiv ausgehändigte Motto: „Ich glaube, es war Knobloch. Aber der ist ja wohl todt."
Was lag näher, als zu seinem Grab zu wandern, zumal es, unzugänglich im Grenzgebiet liegend, schon allein deshalb reizen mußte. Wieso war noch keiner vorher auf diese Idee gekommen? Ich schrieb meine „Wanderung zu Fontanes Grab" mit allen 21 Telefongesprächen und Genehmigungen undsoweiter so präzise auf, daß die Sache zum 80. Todestag nicht gedruckt wurde. Zwei Jahre später erschien sie in „Sinn und Form" und im „Berliner Fenster" beim Mitteldeutschen Verlag. — „Wer schaffen will, muß fröhlich sein" (Fontane) und bleiben. Alles kommt zu dem, der warten kann.
Siehe da, der Friedhof mit Fontane an der Staatsgrenze öffnete sich. So waren wir zum 90. Todestag ein beachtliches, beachtetes Häuflein mit Blumen und Reportern.
Und zum 100.? Da sollten wir uns beizeiten etwas einfallen lassen. Für manchen ist Theodor Fontane längst zum Klassiker geworden. Da sind noch herrliche Sätze zu entdecken für unseren Alltag. Dieser grundanständige Demokrat hat seine Birnbäume gepflanzt.
Ich denke, es ist an der Zeit, eine Theodor-Fontane-Gesellschaft zu gründen.
Heinz Knobloch, Jahrgang 1926, in Dresden geboren, in Berlin aufgewachsen. Oberschule, kaufmännische Lehre, mit 17 eingezogen, mit 18 desertiert. Kriegsgefangenschaft in USA und Schottland. 1948: Bürohilfskraft, später Redakteur.
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