Heft 
(2020) 110
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Fontanes Fronde gegen Manteuffel  Muhs 57 als der Argwohn, demnächst im Rahmen ihrer alltäglichen Dienstaufgaben Artikel liefern zu müssen anstatt dafür, wie bisher, separat honoriert zu wer­den. Diese quasi-gewerkschaftliche Dimension der»ganz gehorsamsten Vorstellung« ist ebenfalls nicht zu verkennen, wenngleich sie ähnlich wie der judenfeindliche Akzent nur zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommt. Ohnehin war es nicht in erster Linie Cassel, an dem die Unterzeichner Anstoß nahmen. Die Befürchtung, dem Redakteur der Deutschen Reform zuarbeiten zu müssen, verblasste neben der Wahrscheinlichkeit, dass Quehl die Leitung des Presseamtes übernehmen würde. Ein Vorgesetzter mit zweifelhafter Vergangenheit und ohne Status in der bürokratischen Hierar­chie kam nach den Ehrbegriffen der Zeit einer Herabwürdigung seiner Un­tergebenen gleich, deren Ansehen in Behördenkreisen ohnehin gering war. Fontane konnte es noch Jahrzehnte später erbosen, dass sich selbst»die Ministerialboten für ganz andre Kerle hielten als uns, die wir doch ein ›lite­rarisches Bureau‹ bildeten. Als ›kleine Beamte‹ Zeitungen holen war ein an­ständigerer Dienst als unser Zeitungen lesen oder machen.« 41 Zu allem Überfluß waren Quehl und Cassel(beide Jahrgang 1821) auch noch unge­bührlich jung, jünger selbst als der 1819 geborene Fontane, bis dahin der mit Abstand jüngste Angehörige des Literarischen Kabinetts. Unter herge­laufenen jungen Leuten zu dienen, mochten sie nun Juden sein oder Chris­ten, war mit dem Standesbewußtsein der altgedienten Mitarbeiter nicht vereinbar. Ihre Sorge um persönliche Respektabilität und finanzielle Ein­bußen war zweifellos ähnlich tief empfunden wie die politischen Vorbehal­te, die allerdings in der»ganz gehorsamsten Vorstellung« nicht offen ange­sprochen werden konnten. Für Quehl sollte es sich jedoch auszahlen, frühzeitig auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. Dank Manteuffels Verwendung erhielt er, obwohl ihm die nötigen Examina fehlten, im Gnadenwege die Anstellungsfähigkeit im Staatsdienst verliehen und wurde, nachdem er dem Ministerpräsidenten dargelegt hatte, wie durch Rationalisierung der Arbeitsabläufe die Perso­nalkosten reduziert werden könnten, am 23. Dezember mit einer Reorgani­sation des Presseamts nach seinen Vorstellungen beauftragt. Gleichzeitig wurde die Öffentlichkeitsarbeit aus der Zuständigkeit des Innenministeri­ums ausgegliedert und dem Regierungschef direkt unterstellt, mit Quehl als verantwortlichem Referenten. 42 Eilfertig ließ der sich noch an Heiligabend von Eugen von Puttkamer, dem kommissarischen Leiter des Innenministeri­ums während der Vakanz zwischen Manteuffels Abgang und Westphalens Amtsantritt, alle einschlägigen Akten ausliefern. Unmittelbar nach Weih­nachten wurden dann die betreffenden Haushaltsmittel auf den Etat des Staatsministeriums übertragen, d.h. das Büro des Ministerpräsidenten, wo­mit die Centralstelle für Preßangelegenheiten geboren war.