Fontanes Fronde gegen Manteuffel Muhs 65 Den Vorwurf, sich und seine schwangere Frau mutwillig in eine finanzielle Notlage gebracht zu haben, brauchte Fontane nicht mehr zu fürchten, als er fast ein halbes Jahrhundert nach den Turbulenzen um Olmütz»das Wangenheimkapitel« abfaßte. Während ihm aber die Diskussionen im Mitarbeiterkreis und die Übergabe der Petition an Puttkamer klar vor Augen standen, erwies sich seine Einbettung der beiden Szenen in ihren historischen Kontext als vage und fehlerhaft. Diskrepanzen dieser Art sind alles andere als selten in Fontanes autobiographischen Äußerungen, was gesinnungstüchtige Interpreten bisweilen veranlasst, dem Dichter vorschnell bewusstes Verschweigen zu unterstellen oder über politische Motive einer gezielten Vertuschung von Sachverhalten zu spekulieren. Erinnerung ist aber kein Arsenal fester Wissensbestände, aus dem absichtsvoll ausgewählt wird, sondern ein dynamischer Prozeß, an dessen Ausformung das ursprüngliche Geschehen, spätere Einsichten und schließlich die Umstände seiner Verbalisierung oder Verschriftlichung gleichermaßen teilhaben. Kultur- und Neurowissenschaften halten vielfältige Einsichten und Theorien bereit, was die Transformation von Erlebnissen in Erinnerung angeht, ihre De- und Rekonstruktion über längere Zeiträume und Erfahrungsbrüche hinweg. Eine Kommentierung im Empörungsgestus greift allemal zu kurz. Als historisches Ereignis betrachtet, handelte es sich bei der»ganz gehorsamsten Vorstellung« vom 12. Dezember 1850 um nichts weiter als eine im Sande verlaufene Bürokabale vor dem Hintergrund von Olmütz. Aus Selbstrespekt und Eigeninteresse – so verstanden sie ihre Mischung aus Standesdünkel, Verlustängsten und antijüdischen Vorurteilen – wollten sich die etablierten Mitarbeiter des Presseamts nicht zwei opportunistischen Wendehälsen unterordnen lassen. In Fontanes autobiographischer Rekonstruktion erhielt die Episode ihren Sinn dagegen als Vorspiel zum»Hungerjahr« 1851. Wenn er etwas verdrängt hat, dann war es sein anfangs feindseliges, dann aber ein recht produktives Verhältnis zu Manteuffel und Quehl. Die traumatische Erfahrung der Arbeitslosigkeit als junger Familienvater war dagegen auch nach Jahrzehnten unverwunden. Schwerwiegende Folgen müssen bedeutsame Ursachen gehabt haben, und dass er die Abkehr von der Unionspolitik seinerzeit mit Empörung verfolgt hatte, stand fest. So konnte sich in Fontanes Erinnerung die Vorstellung herausbilden, offen gegen Manteuffel protestiert zu haben, als er zusammen mit vier Kollegen eine folgenlos gebliebene Petition gegen zwei von dessen Handlangern niederund unterschrieb.
Heft
(2020) 110
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten