76 Fontane Blätter 110 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes muß bald einleuchten. Man führt eben gern die Nachtseiten des gewöhnlichen Lebens vor oder erörtert moderne Zweifel an allem Heiligen und vergiftet auf diese Weise das Gemüt des Lesers, ohne daß dieser diesen schädlichen Zweck seiner Lektüre immer gleich merkt. Daher wird jeder besonnene und insonderheit christliche Leser sehr auf seiner Hut sein, sich nicht gefährliches Zeug anzuschaffen, was er bald in den Ofen wandern lassen muß. Sehr vieles darf hier zum wenigsten nur mit Vorsicht gelesen werden, – als ein Spiegelbild dessen, was man in der sogenannten»gebildeten Welt« über den in so einem Werk geschilderten Punkt für Ideen und Ansichten hegt. Zu dieser Klasse belletristischer Litteratur gehört Fontanes»Quitt.« Wir würden ihn sehr links liegen lassen, wenn er uns nicht wegen seiner Schilderung mennonitischer Verhältnisse bedeutsam erschienen wäre. Inwieweit freilich der Verfasser gerade beabsichtigt hat, seine Leser über diesen Punkt zu informieren, muß fraglich erscheinen. Wo er seinen hierauf bezüglich Stoff aufgelesen hat, möchten wir wohl auch in Erfahrung bringen. Hat er unsern»Bundesboten« mit seinen Missionsnachrichten irgendwo angetroffen, oder sind ihm etwa Briefe in die Hände gefallen, welche aus Deutschland stammende Soldaten des Forts Reno nach Hause geschrieben haben? Er selbst ist 1893 gestorben, somit kann man ihn nicht mehr interpellieren. Uns erscheint sein Bericht über die Mennoniten als ein ihm jedenfalls willkommenes Seitenstück seines Hauptpunktes, ein passender Hintergrund seiner Hauptfigur und der eigentlichen Idee seines Werkes. Im»Quitt« liegt ein sogenannter Tendenzroman vor uns, der eine ethische Lehre ausführt, welche in der modernen Weltanschauung so allgemein verbreitet ist und so leicht auch auf christlichem Gebiet Eingang findet, daß wir sie hier kurz hervorheben und beleuchten möchten. Die Hauptfigur des Werkes bildet ein gewisser Lehnert, welchen Fontane in Schlesien in dürftigen Verhältnissen aufwachsen läßt, sonst aber steckt ein gewisses richtiges Selbstgefühl in ihm, und im Kriege tut er sich rühmlich hervor, so daß er das eiserne Kreuz erhalten hätte, wenn es nicht sein Nachbar, der Förster Opitz, fertig gebracht hätte, seine Verdienste in den Augen seiner Vorgesetzten zu verkleinern. Das kann ihm Lehnert nicht vergessen, und die Spannung zwischen beiden wird immer gehässiger. Mit sachkundiger Hand schildert der Verfasser das entsprechende Tun und Treiben der beiden in ihren kleinbürgerlichen Verhältnissen, ebenso ihr Denken und Reden über einander. Man merkt bald, da ist er auf seinem Gebiet, da redet er»von seinem Eigenen.« Psychologisch sehr naturgetreu ist sodann auch die Schilderung der wachsenden Gehässigkeit Lehnerts gegen Opitz bis zum Mordplan, und wie er dazu kommt, seine schwarze Tat als sein ihm gleichsam verordnetes Geschick ansehen zu wollen. Opitz fällt durch kalten Meuchelmord, Lehnert aber entkommt wie durch ein Wunder nach Amerika, verfolgt von den Furienseines schuldbeladenen Gewissens. Sechs Jahre treibt er sich im Norden und Westen unseres großen Landes herum, bis er beim Mennonitenbischof
Heft
(2020) 110
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