»Eine offene Beleidigung« Jantzen 77 Obadja Hornbostel im Indianer-Territorium eine Art Asyl findet und sich über den eigentlichen Zustand seines Innern klar wird. Im Verkehr mit seiner Familie und unter dem Eindruck der hier und in den Gottesdiensten vorgetragenen mennonitischen Anschauungen, namentlich der Lehre von der Wehrlosigkeit, treten ihm drei Faktoren entgegen: in Ruth, der Tochter des Obadja, die Größe einer edlen weiblichen Seele; in der Taufhandlung die Idee einer innern Veränderung, und in den Reden und Predigten des Obadja die Verdammlichkeit des Mordes und die Notwendigkeit einer Sühnung eines begangenen Frevels. Mit den beiden ersten Punkten ist Fontane bald fertig. Lehnert verliebt sich in Ruth und wird durch einen ihrer Gesänge so hingerissen, daß er ohnmächtig zu Boden fällt. Unter Ruths Zuspruch kommt er wieder zu sich, beichtet sodann Obadja sein vergangenes Leben und wird durch die Taufe in die Mennonitengemeinde aufgenommen. Das ist seine Bekehrung. Als es ihm nun gelingt, durch eine heroische Tat seine Liebe zu Ruth zu bewähren, erscheint ihm auch ihre Gewinnung als ein Stück der nächsten Zukunft. Ehe es aber zu irgend einem festen Projekt kommt, verirrt sich ihr Bruder im Gebirge, Lehnert aber fällt im Eifer des Suchens nach ihm so unglücklich von einem Felskamm hinab, daß er in der Einsamkeit sein Ende findet, ehe ihm Hilfe gebracht werden kann. Die ihn suchende Partie findet ihn bereits tot; in seiner Hand hält er einen Zettel, auf dem er mit Blut geschrieben hat:»Vater unser, der du bist im Himmel … Und vergib uns unsere Schuld… Und du, Sohn und Heiland, der du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich… Und vergib uns unsere Schuld…. Ich hoffe: quitt.«- Die Schlußidee verdirbt uns den Genuß des Bekenntnisses. Fontane läßt uns auch durchaus nicht im Zweifel, wie das »quitt« verstanden werden soll. Er läßt Obadja einen Brief an das Gemeindeamt in Schlesien schreiben, wo Lehnert hingehört, und diesem über denselben berichten, wie er zu ihm gekommen ist, der Liebling seines Hauses geworden und in seinem Rettungseifer für seinen Sohn seinen Tod gefunden habe. Seine Buße hat seine Schuld gesühnt, meint Obadja am Schluß seines Schreibens. Selbsterlösung, Sühnung der Schuld durch eigenes Tun, durch liebenswürdiges Betragen, Reue und Leid über den verübten Frevel, ja selbst durch Opferung seines eigenen Lebens in der Rettung Verunglückter – das ist die ethische Grundidee des Werkes. Des Menschen eigene gute Tat soll seine begangene böse Tat aufheben, so daß er selbst das»Quitt« sich ausstellen, er sich selbst von seiner Schuld entlassen kann. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß der menschliche Gerichtshof viel von dieser Idee gelten läßt; aber gehörte Lehnert nicht im Grunde nach Schlesien, um dort zu empfangen, was seine Tat verschuldet? Wo würde irgend ein mennonitischer Prediger seine Tochter auch einem reuigen Verbrecher geben! Und wie entschieden wird in allen unsern Katechismen die Lehre vorgetragen, daß nicht eigenes Verdienst, sondern allein das Blut Jesu Christi rein macht von aller Sünde! Einen mennonitischen Ältesten zum Träger der modernen Idee der
Heft
(2020) 110
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