Heft 
(2020) 110
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92 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte kenntnis über Sprach- und Kulturräume hinweg zu erweitern, diese Kennt­nis auch nach außen zu vermitteln und nicht zuletzt das eigene Stilempfin­den und-vermögen zu schärfen. Fontanes Freunde dieser Zeit Max Müller und Wilhelm Wolfsohn übersetzten, Müller aus dem Sanskrit, Wolfsohn aus dem Russischen, und zu Fontanes eigenem Ruhm als ›nachdichtendem‹ Lyriker trugen nicht wenig seine zahlreichen Übertragungen englischer und schottischer Balladen bei. 16 Weniger wortkarg als über seine Romanübersetzung hat sich Fontane immerhin über die Autorin, Catherine Grace Frances Gore(1799–1861), ge­äußert. In der Reihe der von ihm für das ›Lorcksche‹ Biographische Lexikon Männer der Zeit 1862 ausgearbeiteten Artikel befinden sich auch einige Bio­gramme über»Frauen der Zeit«, und unter diesen einer über Catherine Gore. Hubertus Fischer hat dem»Zusammenhang zwischen Biographik und Autobiographik« 17 nachgespürt, der diese Serie lexigraphischer Arti­kel ­Fontanes durchzieht. Auch für den Gore-Artikel dürfte ein solcher Zu­sammenhang zu vermuten sein, wenngleich Fontane natürlich nicht er­wähnte, dass er zwei Jahrzehnte früher versucht hatte, einen Roman dieser Autorin zu übersetzen. Immerhin nennt er den»Pfandleiher« unter den von ihm namentlich herausgehobenen Werken Gores. 18 Fontane schätzt Gores schriftstellerische Potenz nüchtern aber nicht eh­renrührig ein:»Neben Thackeray konnte sich Mrs. Gore nicht behaupten.[...] Ihre Glanzzeit hatte sie in dem Jahrzehnt der Pelham-Literatur, etwa von 1830–40. Der Bulwersche ›Pelham‹ hatte die Neugier, das Verlangen wach­gerufen, über das Leben der vornehmen Leute Zuverlässiges zu erfahren.[...] Mrs. Gore kam dieser erwachten Neugier entgegen und ihre Enthüllungen waren es, mehr als ihr Talent, was sie auf längere Zeit zu einer Lieblings­schriftstellerin machte.« 19 Doch weiß er dieses Talent auch zu würdigen, gibt also Gore nicht wie andere der von ihm Biographierten einer»literari­schen Hinrichtung« 20 preis.»Ihr Talent besteht weniger in geschickter Int­rigue oder Anordnung als vielmehr in klarer Charakteristik, in brillanten Aussprüchen weltlicher Klugheit, in Leichtigkeit, Grazie und vor allem in etwas Geist- und Witzsprühendem, das ihre Bücher zu einer anregenden und beliebten Unterhaltungslectüre macht.« 21 Fontane erkennt damit den Schlüssel für Gores Karriere als»eine der fruchtbarsten und populärsten Romanschriftstellerinnen Englands« in ihrer spezifischen Kombination von Zeitgeist mit Talent; fast wie ein Kompliment klingt schließlich die Würdi­gung ihrer handwerklichen Professionalität:»Mit Recht hat man innerhalb der Buchhändler- und Lesewelt von ihr gesagt: Sie gehöre zu denen, auf die man sich verlassen könne.« 22 Klare Charakteristik, brillante Aussprüche weltlicher Klugheit, Leich­tigkeit, Grazie und vor allem etwas Geist- und Witzsprühendes: hier bleibt nicht verborgen, warum Fontane mit Gore etwas anzufangen wusste, und es scheint, als hätten ihn diese Eigenarten der ungeheuer produktiven