Heft 
(2020) 110
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94 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte II. Gores Plot und Fontanes Eingriff Abednego Osalez oder nur kurz»A.O.« ist ein berüchtigter Londoner Pfand­leiher. Allein die Nennung seines Namens ruft in den Kreisen leichtsinniger jugendlicher Sprösslinge von höherem wie niederem Adel Schaudern her­vor. 28 Diese jeunesse dorée, meist in belangloser militärischer Ausbildung begriffen, führt ein inhaltsleeres, aber ressourcenverzehrendes Leben in Clubs und auf Gesellschaften und gewöhnt sich, dem Vorbild der Eltern folgend, maßloses Schuldenmachen früh an. Wer schließlich so aussichtslos verschuldet ist, dass er sich an A.O. wenden muss, gilt als verloren. Zu A.O. geht nur, wem kein anderer Weg mehr offen steht. Der noch sehr junge, eben in die Garde eingetretene Basil Annesley zählt eigentlich nicht zum üblichen Kundenkreis des Geldverleihers, vermeint sich aber trotzdem, we­gen einer noch verhältnismäßig geringen finanziellen Kalamität, an den Be­rüchtigten wenden zu müssen. Schon die erste Begegnung der beiden zeigt, dass Abednegos Verhalten diesem Klienten gegenüber nicht dem ent­spricht, was über ihn kolportiert wird. Jedes weitere Treffen irritiert Basil mehr, denn A.O. führt, wie sich herausstellt, ein mysteriöses Doppelleben zwischen Vorstadt-Bettler und globalem Finanzagenten, jenseits des Kli­schees eines schmierigen Wucherjuden. Parallel zur Entwicklung seiner merkwürdigen Bekanntschaft mit dem Geldverleiher und angestoßen durch eine zufällige Entdeckung Basil fin­det im Zimmer seiner Mutter auf dem heimatlichen Landsitz ein rätselhaf­tes Medaillon mit dem Bildnis eines jungen Mannes und einer schwarzen Haarlocke erschließen sich dem jungen Annesley die ihm bisher unerklär­lichen Sonderbarkeiten seiner Familienverhältnisse, von der bedrückenden Strenge und Weltabgewandtheit seiner Mutter bis zum distanzierten Ver­halten des väterlichen Familienzweiges, der seit dem Tode des Vaters Basils jüngere Schwester umsorgt, Basil selbst hingegen schneidet. Ein dritter Handlungsstrang entwickelt sich aus Basils hoffnungsvollem Verhältnis zur Familie eines armen aber genialen, aus Deutschland emigrierten Ma­lers, auf dessen ältere Tochter er ein Auge geworfen hat; auch für die Ge­schichte dieser Familie scheint A.O. eine schicksalshafte Rolle zu spielen, die schließlich das sich zart anbahnende Liebesglück zu durchkreuzen droht. So sieht sich Basil durch seine Bekanntschaft mit A.O. in allerhand Turbulenzen und Gefühlsverwirrungen gestürzt, bis sich ihm zuletzt, nach­dem er A.O. aus einer lebensbedrohlichen Lage gerettet hat, durch eine große Lebensbeichte des Pfandleihers alles aufklärt. Abednego, Abkömmling eines reichen sephardisch-jüdischen Handels­hauses mit Stammsitz im spanischen Cadiz und selbst nicht mehr der jüdi­schen Religion angehörend, da bereits sein Vater zum Christentum konver­tierte, war dereinst die Jugendliebe der Mutter Basils. Doch der Verbindung konnte kein Glück beschieden sein, denn Abednego blieb auch nach seiner