Heft 
(1989) 48
Seite
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liehen Literatur nach 1850. Da der Verf. einen abstrakten, unreflektierten bürger­lichen Wertbegriff zum Kennzeichen literarischer Reaktionen auf gesellschaftliche Veränderungen nach 1850 erhebt, werden weltanschauliche Konturen der Moderne und des Realismus verwischt.

Einen wichtigen Beitrag leistet Cowens Untersuchung zur Darstellung des litera­tursoziologischen und weltanschaulichen Bedingungsgefüges realistischer Literatur in Deutschland nach 1848, Starke Zweifel lassen sich jedoch anmelden, wenn der Verf. versucht, die Differenzierung zwischen deutscher und österreichischer Natio­nalliteratur an einem konkret terminierten Punkt (1866) festzumachen. Eine spezifisch österreichische Literatur, dies sei hier nur angemerkt, prägt sich als künstlerisch-literarischer Prozeß bereits im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert aus. Davon ausgehend ließe sich derPoetische Realismus auch unter dem Aspekt der Dialektik von Gemeinsamkeit und Eigenständigkeit deutscher und österrei­chischer Literatur untersuchen. Nur am Rande wird die Möglichkeit erwogen, eine Schriftstellerin wie M. v. Ebner-Eschenbach in die Analyse desPoetischen Realis­mus" einzubeziehen. Vergegenwärtigt man sich die im AbschnittThemen, Dar­bietungsformen und -arten des Poetischen Realismus" dominanten ästhetischen Charakteristika, so ist das Fehlen der Werke A. Stifters im Kommentarteil des Bandes mehr als verwunderlich; es sei denn, man identifiziert denPoetischen Realismus" weitgehend mit den Begriffen Humor und Ironie. Der in den Kommen­taren verwendete enthistorisierte Stilbegriff verleitet Cowen, besonders in seinen Bemerkungen zum Werk C. F. Meyers, zur Konstruktion einiger spekulativer literarischer Bezüge. Verdienstvoll ist hingegen Cowens Versuch, am Beispiel von RaabesDas Odfeld" den vorgeprägten negativen Inhalt des Begriffes Provin­zialismus aufzulösen.

Trotz der vorgebrachten, teilweise auch nur peripheren Einwände ist Cowens Untersuchung ohne Zweifel oder gerade wegen der Zweifel ein anregender Text, der zu einer vertiefenden und vor allem differenzierteren Auseinanderset­zung mit der. Literatur des bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert auffordert. Nicht unerwähnt sollen die detailreiche Zeittafel und die umfangreiche Biblio­graphie bleiben, die den Gesamteindruck akribischer Arbeit unterstreichen.

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