Loster-Schneider, Gudrun: Der Erzähler Fontane. Seine politischen Positionen in den Jahren 1864—1896 und ihre ästhetische Vermittlung. — Tübingen: Gunter Narr 1986. 326 S.
(Rez.: Paul Irving Anderson, Aalen)
Ein blau-gelbes Fontane-Bild
[...) und an die Lehne war ein [...] Bildchen geklebt, das einen Chinesen darstellte, blauer Rock mit gelben Pluderhosen und einen flachen Hut auf dem Kopf.
Effi Briest, Kapitel 8
Bei solch vagem Haupt- und wagemutigem Nebentitel sei jedem verziehen, der zu sich denkt, „Erst das weite und dann das steinerne Feld." Doch schon die kurze Vorbemerkung behandelt den eigenen Ehrgeiz mit Selbstironie, bezieht den Multiplikatorbegriff des John Maynard K. auf die zweite Generation von Fontane- Doktoranden und erhebt die Beseitigung der „Stagnation der Erkenntnisse" zum eigenen Maßstab. 1 Diese Mannheimer Dissertation bleibt auch tatsächlich durchweg urteilsfroh und originell und zwar so sehr, daß sich Der Erzähler Fontane keinem der bekannten Vorbilder in der Fontane-Forschung zuordnen läßt, was dazu führt, daß die folgende Charakterisierung etwas umständlich ausfällt.
In der 30seitigen Einführung und Auseinandersetzung mit der Forschung macht Loster-Schneider klar, warum man „von den großen Interpretationslinien unbefriedigt" (29) sein kann, und daß es bisher als ein hermeneutisches Problem galt, daß „aus Fontane nach Belieben ein Reaktionär, Konservativer, Liberaler oder Kommunist gemacht werden könne 2 ." (35) Sie hält es für eine „Tatsache, daß die Positivwertung von Fontanes politischem Interesse, auch seiner politischen Verläßlichkeit, mit dem Grade der historischen Kenntnisse der Interpreten zunimmt," (36) woraus wir folgern müssen, obgleich es nicht so deutlich gesagt wird, daß das alte hermeneutische Problem sich empirisch lösen ließe und zwar dadurch, daß „quellenmäßig erreichte Positionen jeweils mit betreffenden Romanaussagen verglichen werden" mit dem Ziel, „die Identität Fontanes in seiner politischen und literarischen Existenz, in Politikbegriff und Ästhetik zu erhalten." (39)
Zu diesem methodischen Wagnis ein paar Worte: Viele haben versucht, mittels Hermeneutik zu empirischen Aussagen zu kommen. In der Geschichtswissenschaft sieht das so aus, daß man von zwei Hauptlinien sprechen kann: einerseits Bezugssysteme zur Auslegung der Geschichte, andererseits Auflistung oder Erzählung der Geschichte als Begebenheiten. Freilich braucht man zur Auslegung die Begebenheiten, wie auch zur Auswahl der erzählenswerten Begebenheiten eine implizite Wertung. Trotzdem erkennt jeder, wo und wann das hermeneutische oder das empirische Prinzip überwiegt. Loster-Schneider neigt eher zum empirischen Prinzip.
Wie wenig die geschichtlichen Begebenheiten bei der historischen Fontane- Forschung beachtet worden sind, hat Otfried Keiler unlängst reklamiert. Den größten Beitrag leistet Der Erzähler Fontane darin, diese Begebenheiten zusammen mit den historischen Denkweisen weitgehend und doch wohl dosiert nachzuholen. Loster-Schneiders Verzicht auf ein Bezugssystem erschwert zwar zunächst die Leserorientierung, aber er ist auch Voraussetzung für die themenmäßige Wiederherstellung der Lebenssituation und Begriffswelt, in der sich Fontane tat-
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