Heft 
(1989) 48
Seite
109
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sächlich bewegte. Loster-Schneider ist also fest davon überzeugt, daß sie das früher als hermeneutisch angesehene Problem bis zum Schluß empirisch gelöst hat, wo es heißt: «Für eine Demaskierung dieser historischen Werke auf ihren politischen Kern hin genügt zumeist schon ein oberflächliches Wissen um die wichtigsten politischen Reizthemen der Kaiserzeit." (293) Nun braucht die Autorin sich wirklich nicht in falscher Bescheidenheit zu üben, aber ganz so ignorant, wie sie hier andeutet, können die bisherigen Interpreten kaum gewesen sein. Außerdem sind Romane, besonders Fontanes Romane bei allem Realismus keine in diesem Sinne «historischen Werke"; aber diese Fehlbezeichnung deutet ihrerseits an, daß die Autorin glaubt, literarische Kunstwerke völlig frei von Hermeneutik interpretieren zu können das Bezugssystem des Autors ausgenommen.

Da dieses erst erarbeitet werden muß, setzt sich die Autorin zunächst das Ziel, Fontane von dem Urteil politischer Unzuverlässigkeit zu rehabilitieren" (39), das sie nachträglich um das Zweite Ziel ergänzt, eine Systematik der erzähltech­nischen «Verfahren zur Vermittlung einer politischen interpretierten Realität" (264) zu erstellen, um dasProblem des ästhetischen Transfers" (18) zu lösen. Gerade dieses zweite Ziel zeigt, daß das Wort von einerDemaskierung" unüberlegt, die Hermeneutik also doch keinPapiertiger" ist. Es ist auch nicht ganz zutreffend, wenn versichert wird,Selbstverständlich geht es in erster Linie nicht um den .Politiker', sondern den Künstler Fontane" (262), denn die analogempirische Methode zwingt sie, sowohl dem Umfang wie auch der Reihe nach, vor dem Künstler denPolitiker" zu behandeln. Bis etwa S. 200 spielen Fontanes Romane nur eine untergeordnete, wenn auch nicht verdrängte Rolle. Dies darf auch nicht zum Vorwurf gereichen, denn der Nationalliberalismus, zu dem sich Fontane gele­gentlich bekannte, und zu dem Loster-Schneider ihn rechnet, wird von rivalisieren­den oder gar heutigen Bezugssystemen her eher schlecht als recht verstanden. Es verlangt wirklich viel Aufwand, um die Bedeutung des Elitarismus für die damali­gen Liberalen oder ihre Neigung, das Alte dauernd mit dem Neuen zu verknüpfen, also ihr Konvergenzdenken, ihren Verzicht auf parlamentarische Kontrolle der Regierung oder ihre durch Bismarcks Machterhaltungstaktik ausgelösten Gewis­senskonflikte hinreichend zu erklären, geschweige denn bei Fontane zu illustrie­ren.

Dann übernehmen die Romane bis etwa S. 257 schlagartig die Hauptrolle, um danach bis S. 299 mit Überlegungen zurerzähltechischen Systematik" das Rampenlicht zu teilen. Ganz zum Schluß versucht Loster-Schneider, eineTheorie über die zeitgenössische Erfolgslosigkeit Fontanes" (300) zu entwickeln.

Um jemanden zu rehabilitieren, liegt nichts näher, als das Bemühen, sich in seine Lage zu versetzen, wozu sich das anolog-empirische Vorgehen bestens eignet. Daher heißt Teil 2Fontanes Interpretation der zeitgeschichtlichen Realität 1864 1898". Hier werden aber die politischen Themen nicht der Chronik angepaßt, sondern innerhalb mehrerer Bereiche wird aus allen möglichen Quellen und Dar­stellungen zuerst für die nötige faktische und begriffliche Aufklärung gesorgt (Beispiele: Nationalismus und Germanismus; Frankreich; Geschichtsbewußtsein; Klassengesellschaft; soziale Mobilität und Leistungsprinzip; Sozialdemokratie und Revolutionsfurcht; die .Verpreußung' Deutschlands: Bürokratie, Polizei, Militär; Bismarck). Danach führt sie bei strikter Einhaltung der Chronologie, aus allen verfügbaren Zeugnissen Fontane zitierend, den Nachweis seiner Position. Den Einstieg bildenPreußens Rolle auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat und die Einigungskriege 18641870/71", und bei jedem Themenbereich gilt der gleiche Zeitraum.