sächlich bewegte. Loster-Schneider ist also fest davon überzeugt, daß sie das früher als hermeneutisch angesehene Problem bis zum Schluß empirisch gelöst hat, wo es heißt: «Für eine Demaskierung dieser historischen Werke auf ihren politischen Kern hin genügt zumeist schon ein oberflächliches Wissen um die wichtigsten politischen Reizthemen der Kaiserzeit." (293) Nun braucht die Autorin sich wirklich nicht in falscher Bescheidenheit zu üben, aber ganz so ignorant, wie sie hier andeutet, können die bisherigen Interpreten kaum gewesen sein. Außerdem sind Romane, besonders Fontanes Romane bei allem Realismus keine in diesem Sinne «historischen Werke"; aber diese Fehlbezeichnung deutet ihrerseits an, daß die Autorin glaubt, literarische Kunstwerke völlig frei von Hermeneutik interpretieren zu können — das Bezugssystem des Autors ausgenommen.
Da dieses erst erarbeitet werden muß, setzt sich die Autorin zunächst das Ziel, „Fontane von dem Urteil politischer Unzuverlässigkeit zu rehabilitieren" (39), das sie nachträglich um das Zweite Ziel ergänzt, eine Systematik der erzähltechnischen «Verfahren zur Vermittlung einer politischen interpretierten Realität" (264) zu erstellen, um das „Problem des ästhetischen Transfers" (18) zu lösen. Gerade dieses zweite Ziel zeigt, daß das Wort von einer „Demaskierung" unüberlegt, die Hermeneutik also doch kein „Papiertiger" ist. Es ist auch nicht ganz zutreffend, wenn versichert wird, „Selbstverständlich geht es in erster Linie nicht um den .Politiker', sondern den Künstler Fontane" (262), denn die analogempirische Methode zwingt sie, sowohl dem Umfang wie auch der Reihe nach, vor dem Künstler den „Politiker" zu behandeln. Bis etwa S. 200 spielen Fontanes Romane nur eine untergeordnete, wenn auch nicht verdrängte Rolle. Dies darf auch nicht zum Vorwurf gereichen, denn der Nationalliberalismus, zu dem sich Fontane gelegentlich bekannte, und zu dem Loster-Schneider ihn rechnet, wird von rivalisierenden oder gar heutigen Bezugssystemen her eher schlecht als recht verstanden. Es verlangt wirklich viel Aufwand, um die Bedeutung des Elitarismus für die damaligen Liberalen oder ihre Neigung, das Alte dauernd mit dem Neuen zu verknüpfen, also ihr Konvergenzdenken, ihren Verzicht auf parlamentarische Kontrolle der Regierung oder ihre durch Bismarcks Machterhaltungstaktik ausgelösten Gewissenskonflikte hinreichend zu erklären, geschweige denn bei Fontane zu illustrieren.
Dann übernehmen die Romane bis etwa S. 257 schlagartig die Hauptrolle, um danach bis S. 299 mit Überlegungen zur „erzähltechischen Systematik" das Rampenlicht zu teilen. Ganz zum Schluß versucht Loster-Schneider, eine „Theorie über die zeitgenössische Erfolgslosigkeit Fontanes" (300) zu entwickeln.
Um jemanden zu rehabilitieren, liegt nichts näher, als das Bemühen, sich in seine Lage zu versetzen, wozu sich das anolog-empirische Vorgehen bestens eignet. Daher heißt Teil 2 „Fontanes Interpretation der zeitgeschichtlichen Realität 1864— 1898". Hier werden aber die politischen Themen nicht der Chronik angepaßt, sondern innerhalb mehrerer Bereiche wird aus allen möglichen Quellen und Darstellungen zuerst für die nötige faktische und begriffliche Aufklärung gesorgt (Beispiele: Nationalismus und Germanismus; Frankreich; Geschichtsbewußtsein; Klassengesellschaft; soziale Mobilität und Leistungsprinzip; Sozialdemokratie und Revolutionsfurcht; die .Verpreußung' Deutschlands: Bürokratie, Polizei, Militär; Bismarck). Danach führt sie bei strikter Einhaltung der Chronologie, aus allen verfügbaren Zeugnissen Fontane zitierend, den Nachweis seiner Position. Den Einstieg bilden „Preußens Rolle auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat und die Einigungskriege 1864—1870/71", und bei jedem Themenbereich gilt der gleiche Zeitraum.