1864 praktisch als „Stunde Null" zu setzen, mag vielen ewas abrupt oder gar willkürlich erscheinen, da sich Fontane bereits in seiner (wenigstens) dritten Entwicklungsphase befand, als ihn der Ruf nach den dänischen Kriegsschauplätzen über Nacht zum Bismarckianer und Nationalliberalen machte. Zu jener Zeit war Fontane davon überzeugt, beim englischen Artikel der erzkonservativen Kreuzzeitung und märkischen Wandern die endgültige Heimat gefunden zu haben. Man braucht also eine ziemliche Prise Salz, um mit davon auszugehen, daß der preu- pische Patriot der fünfziger und sechziger Jahre „identisch" mit dem deutschen Patrioten Fontane (258) ist, aber freilich läßt sich so besser arbeiten, zumal das Politische in der Beschäftigung mit dem Ausland und der Vergangenheit relativ schwach ausgeprägt war, so fern man die Betonung auf ein Mitwirken legt.
Bei der Analyse der Kriegsbücher fällt einmal auf, wie gründlich die Autorin recherchiert hat 3 , obwohl ihr andererseits dieses Engagement Fontanes offenbar nicht sehr behagt, denn es fallen Wendungen wie „zwielichtige Gewaltpolitik", „Seeräuberpolitik", „schlechtes Gewissen" und „formaljuristische Skrupel", aber „er ,löst' sein Problem mit einem kräftigen Pragmatismus," (46) der jedoch oft in „halbherziger Argumentation" endet. Hier beginnt Loster-Schneider auch ihre „erzähltechnische Systematik" politisch zu begründen. „Er referierte eine fremde Meinung mit dem unpopulären Inhalt, nämlich daß Preußen, um die Deutsche Frage positiv zu entscheiden, den (Deutschfranzösischen — pia) Krieg brauchte und ihn anläßlich jeder Gelegenheit provoziert haben würde." (48) Dann wird zu den Romanstellen übergeschwenkt, an denen dieses Thema berührt wird, woraus deutlicher als in den Kriegsbüchern hervorgeht, daß Fontane niemals an die Kriegsschuld Napoleons III. geglaubt hat. Das persönliche Dilemma des Kriegsberichterstatters wird auf die Dauer produktiv, denn vom Pragmatismus her ist die Frage nach der politischen Moral schwer zu lösen und beschäftigt ihn bis zum Schluß. Nach diesem Grundmuster arbeitet Loster-Schneider auf vielen politischen Gebieten das integre Bild eines mehr als gewissenhaften, nationalliberalen Bismarckanhängers aus.
„Aus Angst vor der inneren Zerstörung des Reiches trägt er Bismarcks Sozialpolitik, definiert er seinen eigenen künstlerischen Auftrag als Beitrag zur gesellschaftlichen Versöhnung.
Unterschiede zum Kanzler liegen dort, wo er diese Versöhnung oder den bürgerlichen Verfassungscharakter des Reiches gefährdet sieht. (...] Der sachliche Grundkonsens mit Bismarck wird durch Fontanes persönlichkeitsbezogenes bürgerliches Leistungsdenken zusätzlich ideologisch überhöht. Bismarck ist das .große Individuum', das Genie, neben dem Alltagspolitiker, die Parlamentarier abfallen, was lange Zeit katastrophale Folgen für Fontanes demokratisches Grundverständnis hat." (237)
Wenige Themen werden häufiger angeschnitten als Fontanes Ansichten zum Parlamentarismus, seine Ablehnung einer Regierungsabhängigkeit vom Parlament statt vom Monarchen, eine Haltung, die erst dann zu bröckeln beginnt, als ihn Bismarcks Machterhaltungstaktik der 80er Jahre verunsichert und vollends umschlägt, wenn ihm das „persönliche Regiment' Wilhelms II. klarmacht, wie selten ein Bismarck vorkommt.
Die Breite und Tiefe von Loster-Schneiders historischen Kenntnissen imponiert immer wieder, wobei man natürlich diese Lücke oder jenes Fehlurteil auch nicht übersehen kann. Z. B. scheint die Autorin im Grafen Philipp zu Eulenburg nichts weiter als den Neffen eines Innenministers zu erkennen, aber nicht den Architekten des von ihr und Fontane kritisierten „persönlichen Regiments" Wilhelms II.
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