Abednego, der Pfandleiher Brechenmacher 97 III. Gores Money-lender im Kontext Abednego Osalez ist eine sehr spezielle Figuration jener von Hannah Arendt so genannten»Ausnahmejuden des Reichtums« 31 , die ein Epizentrum der europäischen Debatte um die politische wie gesellschaftliche Stellung der Juden bilden. Die Bandbreite der Werturteile reicht von Vernichtung bis Verklärung, und sie basieren immer auf Stereotypen des ›Jüdischen‹, egal ob negativ oder positiv konnotiert. Gores Abednego ist ein Paria, aber – von seiner kurzen Episode ausschweifenden Lebens abgesehen – kein Parvenü (wiederum in Arndt-Begrifflichkeiten gesprochen). Die ihm von der feinen Adelsgesellschaft und ihren Sprösslingen früh eingebläute Desillusionierung über seine faktische und offenbar durch nichts zu überwindende Pariaexistenz projiziert er nur vorübergehend in einen Parvenü-Habitus. 32 Vielmehr beschließt er, angeekelt und durchaus erfüllt vom Bewusstsein seiner ihm eigenen herausragenden Persönlichkeit, sich dieser Gesellschaft nicht länger anzubiedern, sondern sich an ihr für die Zurückweisung zu rächen. Aus seinem ihn niemals loslassenden Judentum erwächst seine Lebenstragödie. Er kann sie im letzten Moment überwinden, indem er eine unerschütterliche, wenn auch in Stolz und Gram eingekapselte Liebe bei sich selbst und die Gegenliebe derer entdeckt, die ihm über alle Lebensschicksale hinweg zugeneigt geblieben sind, Lady Annesleys und seiner Schwester. Über die Generation deren beider Kinder eröffnet sich die Chance, die Verkapselungen aufzubrechen und zu neuer Lebensqualität zu finden. Das neue Stadium ist mit dem Ende der Existenz des Pfandleihers verbunden und möglicherweise(in Fontanes Übersetzung noch stärker nur als Spekulation angedeutet als bei Gore), mit dem definitiven Abschied von dem für sein Leben nun endgültig bedeutungslos gewordenen ›Judentum‹. Die Engführung von internationalem Finanzkapitalismus und Judentum ist für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nichts weniger als originell. Im Hintergrund aller(Zerr-)Bilder steht stets das mächtige Bankhaus Rothschild, ein globales Familienunternehmen, das in den Jahrzehnten des Vormärz nachgerade in eine Monopolstellung finanzpolitischer Weltlenkung aufzusteigen scheint. 33 Alphonse de Toussenel, früher Sozialist und Zoologe, veröffentlichte 1845 eine Geschichte des Finanzfeudalismus unter dem Titel Les juifs, rois de l’époque, deren antijüdischer Zorn sich an dem Eisenbahngeschäft James Rothschilds in Frankreich und Belgien entzündete. 34 Mehr als die Könige schienen für Toussenel und andere die jüdischen Bankiers die Welt zu regieren. In England hatte William Thackeray das schon geläufige Rothschild-Epitheton ›König der Juden‹ 1833 in einem Schmähgedicht wirkungsvoll umgedreht:»not the ›king of the Jews‹, but the ›Jew of the kings‹.« 35 Gerade auch Autoren jüdischer Herkunft wie Heinrich Heine oder Ludwig Börne konnten sich der Polemik gegen die Rothschilds nicht entschlagen 36
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(2020) 110
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