Heft 
(2020) 110
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Abednego, der Pfandleiher Brechenmacher 99 IV. Gore-Motive Fontane-Motive Gore will nicht wie Heine oder Börne, Marx oder Disraeli ambi­tionierte Stellungnahmen zur ›Judenfrage‹ anbieten. Aber auch sie setzt den einen oder anderen Akzent durchaus auf eigene Weise, jenseits eines ­res­s­enti­mentgeladenen Mainstreams, von grober Judenfeindlichkeit ganz zu schwei­gen. Fontane trifft in Gores Darstellung Themen und Motive an, auf die er teils sehr viel später und in unterschiedlichsten Variationen immer wieder selbst zurückkommen sollte, nicht allein in Verbindung mit ›jüdischen Fra­gen‹. Ob sich durch seine Übersetzungsarbeit ›frühe Prägungen‹ im Zugang zu allgemeinen gesellschaftlichen Phänomenen seiner Gegenwart einbrann­ten, mag dahingestellt bleiben. Auffällig ist der Befund aber doch. Gores Position zu der spezifischen Mischung sozioökonomischer und proto-rassistischer antijüdischer Ressentiments der ›guten‹ englischen Ge­sellschaft der 1830er und 1840er Jahre ist eindeutig; diese Ressentiments anfänglich etwa auch aus dem Munde von Basils Mutter 43 werden in der Person Abednegos dekonstruiert. Sicherlich kommen auch bei Gore einzel­ne Judenzerrbilder vor, allerdings nicht, um Juden ›als solche‹ vorzufüh­ren, 44 sondern eher um Überlagerungen von Stereotypen literarisch abzu­bilden: denn alle ›schlechten Juden‹ hängen mit dem ›guten Juden‹ Abednego in irgendeiner Weise zusammen, entweder, indem sie in seinem Auftrag und Dienst also zu verborgenen ›guten Zwecken‹ agieren oder gar mit ihm selbst identisch, seine Kehrseite in einer Verkleidung sind. 45 So arbeitet Gore (wie später auch Fontane in seinen Romanen, dann freilich ungleich raffi­nierter und vielschichtiger), mit unterschiedlichen Typologien des ›Jüdi­schen‹. Insgesamt ist der Roman frei von Antisemitismus, wenn auch nicht von jener Art des Philosemitismus, die ihrerseits Juden vor allem im Rah­men von Klischees abbildet. Inwiefern die Geschichte vom ›geretteten‹ Geld­verleiher eine Spur zu sozialutopisch oder gar sozialromantisch ausfällt, mag dahingestellt bleiben; Fontane, der den Schluss des Romans ›ins Offe­ne‹ hin verlagerte, hat wohl in diese Richtung empfunden. In England sollte es, wie auch in Deutschland und Frankreich, noch bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein dauern, bis die letzten Schranken zur bürgerlich-rechtlichen Gleichstellung der Juden fielen; damit war wie überall die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz noch längst nicht beantwortet. Konversion zum Christentum war, in unterschiedlichen Phasen und Intensitäten, ein als probat erachtetes, nicht selten aber als trü­gerisch erkanntes Mittel, der Paria-Existenz zu entkommen. Heine und Bör­ne sind zwei prominente Beispiele dafür. Auch in Gores Roman geht es um diese Assimilations-Gretchenfrage, weniger um ›Glaubensjuden‹, sondern um Konvertierte, die vermeinten, ihre ›schädliche‹ jüdische Abstammung durch den Übertritt ablegen und durch völlige Angleichung(Assimilation) an die Mehrheitsgesellschaft in dieser aufgehen zu können. Am Beispiel