Abednego, der Pfandleiher Brechenmacher 99 IV. Gore-Motive – Fontane-Motive Gore will nicht wie Heine oder Börne, Marx oder Disraeli ambitionierte Stellungnahmen zur ›Judenfrage‹ anbieten. Aber auch sie setzt den einen oder anderen Akzent durchaus auf eigene Weise, jenseits eines ressentimentgeladenen Mainstreams, von grober Judenfeindlichkeit ganz zu schweigen. Fontane trifft in Gores Darstellung Themen und Motive an, auf die er teils sehr viel später und in unterschiedlichsten Variationen immer wieder selbst zurückkommen sollte, nicht allein in Verbindung mit ›jüdischen Fragen‹. Ob sich durch seine Übersetzungsarbeit ›frühe Prägungen‹ im Zugang zu allgemeinen gesellschaftlichen Phänomenen seiner Gegenwart einbrannten, mag dahingestellt bleiben. Auffällig ist der Befund aber doch. Gores Position zu der spezifischen Mischung sozioökonomischer und proto-rassistischer antijüdischer Ressentiments der ›guten‹ englischen Gesellschaft der 1830er und 1840er Jahre ist eindeutig; diese Ressentiments – anfänglich etwa auch aus dem Munde von Basils Mutter 43 – werden in der Person Abednegos dekonstruiert. Sicherlich kommen auch bei Gore einzelne Judenzerrbilder vor, allerdings nicht, um Juden ›als solche‹ vorzuführen, 44 sondern eher um Überlagerungen von Stereotypen literarisch abzubilden: denn alle ›schlechten Juden‹ hängen mit dem ›guten Juden‹ Abednego in irgendeiner Weise zusammen, entweder, indem sie in seinem Auftrag und Dienst – also zu verborgenen ›guten Zwecken‹ – agieren oder gar mit ihm selbst identisch, seine Kehrseite in einer Verkleidung sind. 45 So arbeitet Gore (wie später auch Fontane in seinen Romanen, dann freilich ungleich raffinierter und vielschichtiger), mit unterschiedlichen Typologien des ›Jüdischen‹. Insgesamt ist der Roman frei von Antisemitismus, wenn auch nicht von jener Art des Philosemitismus, die ihrerseits Juden vor allem im Rahmen von Klischees abbildet. Inwiefern die Geschichte vom ›geretteten‹ Geldverleiher eine Spur zu sozialutopisch oder gar sozialromantisch ausfällt, mag dahingestellt bleiben; Fontane, der den Schluss des Romans ›ins Offene‹ hin verlagerte, hat wohl in diese Richtung empfunden. In England sollte es, wie auch in Deutschland und Frankreich, noch bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein dauern, bis die letzten Schranken zur bürgerlich-rechtlichen Gleichstellung der Juden fielen; damit war – wie überall – die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz noch längst nicht beantwortet. Konversion zum Christentum war, in unterschiedlichen Phasen und Intensitäten, ein als probat erachtetes, nicht selten aber als trügerisch erkanntes Mittel, der Paria-Existenz zu entkommen. Heine und Börne sind zwei prominente Beispiele dafür. Auch in Gores Roman geht es um diese Assimilations-Gretchenfrage, weniger um ›Glaubensjuden‹, sondern um Konvertierte, die vermeinten, ihre ›schädliche‹ jüdische Abstammung durch den Übertritt ablegen und durch völlige Angleichung(Assimilation) an die Mehrheitsgesellschaft in dieser aufgehen zu können. Am Beispiel
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(2020) 110
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