Heft 
(2020) 110
Einzelbild herunterladen

Abednego, der Pfandleiher Brechenmacher 101 und den Zumutungen dessen, was ihr ›von außen‹ zugeschrieben, aufgebür­det wird. Ähnliches gilt für A.O.s Schwester Rahel, die als Abkömmling eines rei­chen, ehemals jüdischen Hauses, ›unter ihrem Stand‹ und aus Liebe den ar­men, in Deutschland politisch verfolgten Maler Verelst heiratet und deshalb aus der Familie verstoßen wird. Auch sie schleppt, erkennbar an ihrem Namen, noch die jüdische Herkunft mit sich herum, gilt als Jüdin, ein Stigma, das wiederum auf ihre beiden Töchter, Esther und Salome, über­geht und noch in der dritten Generation in beiden Fällen als gesellschaft­liches Heiratshindernis aufgebaut werden kann. Auch hier scheint ein späteres Fontane-Thema auf: die Frage nach der Möglichkeit oder Un­möglichkeit ›unbotmäßiger‹ Ehen, quer durch die Gruppen und Schichten der Gesellschaft. Das eigentliche Hauptthema des Romans ist aber die ›Jagd nach dem goldenen Kalb‹. Geld-(oder bildlich im Roman: ›Gold‹-)Sucht erscheint als Leitmotiv der Zivilisation, als die eigentliche Basis der Macht, von ganz an­derer Qualität als die Macht der Könige, die allesamt auch nur Schuldner sind. Der Kapitalist ist der einzig wahre Herrscher. 54 Abednego ist dafür weder verantwortlich noch zur Rechenschaft zu ziehen; er ist lediglich der­jenige, der diesen Sachverhalt kühl und präziser als alle anderen durch­schaut. Unglück nicht nur über sich selbst, sondern über die ganze Gesell­schaft bringen die verschwenderischen Adeligen, die sich seit dem Ende der napoleonischen Epoche einem»epikuräischen Luxus« hingeben. 55 ›Geld‹ befeuert im Modus der Verschwendung»Jagd nach dem goldenen Kalb« 56 die Sittenverderbnis. Auf der anderen Seite kann mit ihm rational und technokratisch gewirtschaftet werden. Schließlich kann es aber auch wohl­tätig, zum Guten eingesetzt werden. Diese Auffassung liegt Gores Drei­schritt zugrunde, als den sie das Leben Abednegos erzählt: der ›rächende Jude‹ profitiert von der allgemeinen Sittenverderbnis, häuft ungeheure Reichtümer an und führt selbst zunächst ein ausschweifendes Leben, um sein Gefühl, ausgestoßen zu sein, zu betäuben. Dieser Existenzform über­drüssig, spaltet sich seine Persönlichkeit auf in eine in Lumpen dahinvege­tierende und in Bitternis allem ›Weltlichen‹ entsagende Bettlergestalt hier, in einen international agierenden, hochseriösen Finanzmagnaten größter Kultiviertheit da. In einer Schlüsselstelle des Romans findet sich Basil sehr zu seiner Überraschung im Hause des letzteren zu einem Diner im Kreise eines exquisiten Gremiums ausgewählter ›Kapitalisten‹, allesamt älterer Herrn, geladen, deren Habitus allen seinen Erwartungen zuwiderläuft. Kein Wort verlautet da, das auf Eitelkeit und Prahlerei gedeutet hätte. Im Hause der Gemeinden oder in den Klubs war Basil durch ein Sichbreitmachen und Wichtigtun oft unangenehm berührt worden, das bei Gastmählern, wenn einmal