Abednego, der Pfandleiher Brechenmacher 103 und Diskursmöglichkeiten übereinander, die im Roman, ungeachtet manch rührseliger Züge der Osalez-Annesley-Verelst-Familienstory durchaus nicht trivial verhandelt werden. Spätere eigene Romantechniken Fontanes sind erkennbar. Fontane übernahm die ›Jagd nach dem goldenen Kalb‹ schon sehr bald in eigene Produktionen. In Ein Sommer in London wollte er – bezeichnenderweise unter Zuhilfenahme eines von ihm aus dem Englischen übersetzten Times-Artikels – in ihr»die große Krankheit des englischen Volkes« 59 erkennen und ging dabei sogar noch weiter als Gore, die im Money-lender diese »Krankheit« nur dem Adel zuschrieb. Dieser wird in den späteren Werken Fontanes nicht in erster Linie mit der ›Jagd nach dem Goldenen Kalb‹ in Verbindung gebracht, was mit seiner Rezeption des verarmenden märkischen Adels zusammenhängen dürfte. Heiratsallianzen mit Vertretern der neureichen ›Bourgeoisie‹ dienten hier mehr der Existenzsicherung als der Kapitalakkumulation; das ›goldene Kalb‹ zu jagen, fiel in Fontanes späterer Perspektive einer anderen Gruppe der Gesellschaft zu: der Bourgeoisie mit ihrer»Geldsackmentalität«. 60 Auch wenn viele seiner Romangestalten mit jüdischem Hintergrund mehr oder weniger mit ›Geld‹ zu tun haben, reich sind oder nach Reichtum streben(wie der Bankier Bartenstein in den Poggenpuhls, wie Ezechiel van der Straaten in L’Adultera oder Vater und Sohn Hirschfeld im Stechlin), und auch wenn sich der spätere, stark ressentimentgeladene Fontane in seinen Briefen über die reichen ›Tiergartenjuden‹ mokierte, 61 war die ›Jagd nach dem Geld‹ doch ein ›Laster‹, das er sehr differenziert zu behandeln wusste. 62 Die»eigentlichen Berliner Bourgeoiskreise« seien»doch wieder sehr anders[...] als die Kaufmanns- und Banquierskreise, wobei ich noch gar nicht an Bleichroeder denke.« 63 Auch für Fontane gibt es unterschiedliche Geldsphären; ›Geld‹ ist für ihn keineswegs immer ›jüdisch‹ und ›jüdisches Geld‹ ist keineswegs immer schlecht. 64 Das ihm verhasste Bourgeoistum 65 ist eine Mentalität, für die reale Geldsäcke nicht einmal immer erforderlich waren, und die alle ergreifen konnte, sogar Militärs und Beamte. 66 Fontanes frühe Übersetzungsübung an dem Gore-Roman sollte in ihrer Bedeutung für seine eigene Sozialisation als Zeit- und Gesellschaftsbeobachter, der irgendwann begann, diese Beobachtungen in Romanen niederzulegen, sicher nicht überschätzt werden. Andererseits lohnt ein genauerer Blick auf diese Arbeit, findet sich darin doch überraschend vieles von dem vor, was Fontane später selbst umtreiben sollte. Sicher, es waren gängige Themen der Zeit, Adel, Bürgertum/Bourgeoisie, der Aufstieg neuer(Geld-) Eliten und neue Triebkräfte der sozialen Entwicklung, die mit tiefer Skepsis betrachtet wurden(›Jagd nach dem goldenen Kalb‹). Mit all dem verbindet der Money-lender die Frage nach der Judenemanzipation, hier speziell der Diskrepanz zwischen dem exorbitanten Aufstieg einzelner und ihrer faktisch anhaltenden, ja sich möglicherweise sogar verstärkenden sozialen
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(2020) 110
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