Heft 
(2020) 110
Einzelbild herunterladen

104 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­Desintegration. Fontane wäre bestimmt auch ohne Gore auf diese Themen gestoßen. Was er freilich bei Gore mitnehmen konnte, war eine erfrischend reflektierte und dekonstruierende Haltung gegenüber antijüdischen Stereo­typen. Wenn Fontane selbst, vor allem in seinen späteren Lebensjahrzehn­ten zunehmend judenfeindliche Ressentiments mit grimmigem Groll kulti­vierte, hat er sie jedenfalls von Gore nicht gelernt. Catherine Gore vermittelte, und Fontane übersetzte: Die ›Schlechtigkeit‹ des Juden ist Produkt seiner Umwelt; eine Wende zum Guten ist möglich. Die Figur des ›jüdischen Geldverleihers‹, transformiert in diejenige des ›jüdi­schen Bankiers‹, entspricht beidem: sozialer Realität und Klischee; ihre lite­rarische Gestaltung kann jederzeit ins Stereotyp-Antijüdische kippen, muss aber nicht; genau hier ist der Punkt, an dem Fontane viel später, in seinen eigenen Romanen und Novellen, in der Lage sein wird, sein persönliches Ressentiment durch Reflexion und künstlerische Gestaltung auszutarieren. Ob er dabei hin und wieder seiner talentvollen Mrs. Gore gedacht hat?