Heft 
(2020) 110
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114 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 1456 erstmals von Thüring von Ringoltingen ins Deutsche übertragen, wurde dieser Sagenstoff im Laufe der Jahrhunderte vielfach aufgegriffen und bearbeitet. Zumal im 19. Jahrhundert, so Möller weiter,»entstanden zahlreiche Bearbeitungen des Melusine- und des verwandten Undine-Stof­fes, überhaupt wurden Meerfeen, Nixen und ähnliche Wesen mit der Ro­mantik beliebte Gestalten der Literatur und der bildenden Künste.« 5 Sei es als Drama oder Novelle, als Kunstmärchen oder Opernlibretto: Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann, Johann Wolfgang von Goethe, Eduard Mörike, Franz Grillparzer, Paul Heyse, Henrik Ibsen und viele andere mehr legten im 19. Jahrhundert literarische Bearbeitungen jenes Stoffes vor, der über­dies in Volksbüchern und Märchensammlungen weite Verbreitung gefun­den hatte: Melusine, ursprünglich den Elementarwesen der Wasserwelt entstam­mend[...], wird in der Literatur meist als reizvolle, attraktive Frau darge­stellt, die ein besonderes Geheimnis umgibt. Oft verfügt sie außerdem über besondere sensitive Fähigkeiten. Durch die Verbindung mit einem treuen Mann oder durch ein starkes emotionales Erlebnis kann sie von dem Makel der Seelenlosigkeit bzw. Gefühlskälte erlöst werden. Auch während ihres Versuches, in der Menschenwelt oder so wie andere Men­schen zu leben, bleibt sie mit den Wassergeistern in Verbindung[...]. Miß­glückt ihr Versuch, wird sie für immer von dem Geliebten getrennt und in die Wasserwelt verbannt. 6 Woher Theodor Fontane seine Anregungen zum Melusine-Motiv bezog, läßt sich nicht genauer klären. Mit Bestimmtheit sagen läßt sich allerdings dies:»Fontanes Verfahren ist es, die ihn interessierenden Melusine-Spuren im überlieferten Stoff umzulegen in neuen Text« 7 . Und so wird die Lektüre des Stechlin allein schon durch die Namensgebung Melusine von Barby zu einem Lesevorgang, in dem die Überlieferungsgeschichte des Melusine­Stoffes wie verschwommen auch immer als Hintergrundfolie stets prä­sent bleibt:»Melusine? Hören Sie, Rex, das läßt tief blicken.« 8 Bevor es mit Melusine von Barby zu einer endgültigen Ausgestaltung des Melusine-Motivs kam, hat Fontane drei sehr unterschiedliche Versuche un­ternommen, sich den Stoff als Romancier anzueignen. Im Jahre 1877 oder 1878 entstand die kaum zwei Druckseiten umfassende Skizze Melusine. An der Kieler Bucht. Protagonistin sollte»eine Art Wassernixe« werden,»das Wasser ist ihr Element: baden, schwimmen, fahren, segeln, Schlittschuh laufen.« 9 Schauplatz und Handlung des geplanten Romans sind nur mit we­nigen Federstrichen umrissen. Immerhin aber stand das Ende der entwor­fenen Geschichte über eine unstandesgemäße Liebesbeziehung schon fest: »Sie geht unter. Elementar. Wenigstens scheinbar.[...] Es heißt: das Element nahm sie zurück.« 10