Heft 
(2020) 110
Einzelbild herunterladen

116 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Anhang ausgiebig aus den Melusine-Skizzen Fontanes, die in dieser Pers­pektive wie Vorarbeiten erscheinen auf dem Weg Fontanes zur endgültigen Ausgestaltung der Figur Melusine von Barby. Nicht anders Christine Hehle und Hanna Delf von Wolzogen als Herausgeberinnen der neuesten, unge­mein kenntnisreichen und Maßstäbe setzenden Edition der Fragmente: Auch für sie sind diese drei Prosa-Skizzen frühe Realisierungen des Melu­sine-Motivs im Vorfeld des Stechlin. 14 Zieht man darüber hinaus die in der jüngeren Zeit erschienenen For­schungsarbeiten in Sachen Melusine mit heran, so zeigt sich allerdings noch ein weiterer Sachverhalt: Es ist insbesondere die im Oceane-Fragment von Fontane vorgenommene Charakterisierung der geplanten Hauptfigur als »moderne Melusine«, die zum Kristallisationspunkt der Forschung avan­cierte. Mehr noch: Es zeichnet sich die Tendenz ab, den drei Melusine-Ent­würfen Theodor Fontanes programmatische Bedeutung dort beizumessen, wo Identitätskonzepte und Weiblichkeitskonstruktionen im Werk Fontanes untersucht werden.»›Melusine‹ ist kein Name«, bemerkt Christina von Braun in den Fontane-Blättern,»Melusine ist ein Programm. Ein Programm, das Fontane sein Leben lang begleitete.[...] All diesen Frauengestalten sind Eigenschaften wie Schönheit, Anmut, Verführungskraft, Intelligenz und das Element des Undurchschaubaren, Rätselhaften gemeinsam.« 15 Und wei­ter:»Die Art von Idealität, die Fontane mit seinen ›Melusinen‹ verband, war paradox: Einerseits verkörperten sie das Elementare, Triebhafte, die ›Natur‹, andererseits aber auch die Unfähigkeit zum Gefühl, zur sinnlichen Erfah­rung.« 16 Auch Edda Ziegler interpretiert das Oceane-Fragment als Keimzelle einer Konstruktion von Weiblichkeit, die das gesamte Prosawerk Fontanes kennzeichne: Meine Überlegungen gehen aus vom spezifischen Gehalt des Melusini­schen in Fontanes Erzählwerk. Untersucht wird der Wandel, den es durchmacht zwischen Vor dem Sturm, dem Romanerstling und seinem späten Gegenstück, dem Stechlin. Denn angefangen bei Marie Kniehase, über Hilde aus Ellernklipp, Grete Minde, Melanie van der Straaten aus LAdultera, Victoire von Carayon aus Schach von Wuthenow, Cécile, Ebba von Rosenberg aus Unwiederbringlich bis zu Effi Briest und Melusine von Barby; ein Schriftstellerleben lang hat der Erzähler Fontane sich mit dem Melusinischen beschäftigt, in immer neuen Figuren und Varianten, gleichsam fortschreibend an einem einzigen Text. 17 Demgegenüber hat Renate Böschenstein, die schon 1962 noch unter dem Namen Schäfer in der Tat Grundlegendes zum Melusine-Motiv vorgelegt hat 18 , in aller Behutsamkeit Einspruch erhoben. In einer Fußnote ihres Bei­trags heißt es:»Generell läßt sich sagen, daß die Deutung der Figur der Me­lusine und des Konzepts des ›Melusinischen‹, seit ich in meinem frühen Auf­satz darauf aufmerksam machte[...], eine sehr große Ausweitung erfahren hat, welche die Grenze des Phänomens oft verschwimmen läßt.« 19 Anders