Heft 
(2020) 110
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Nomen est omen  Sill 117 formuliert: Die beständige Rückbindung an die Charakterisierung der Pro­tagonistin im Oceane-Fragment birgt die Gefahr, die zweifellos großen Un­terschiede zwischen den Frauenfiguren im Erzählwerk Fontanes aus dem Blickfeld zu verlieren, wenn nicht gar einzuebnen. 20 II. Zurück zum Detail und das heißt in unserem Fall: zum Namen Oceane von Parceval. Zwar bezeichnet der Erzähler des gleichnamigen Fragments die geplante Protagonistin als»exzeptionelle«, als»moderne Melusine«, ihr Name jedoch ist ein anderer, eben Oceane von Parceval. So einleuchtend es auch ist, den Zusammenhang aller drei Fragmente mit Fontanes letztem Ro­man Der Stechlin unter dem Stichwort Melusine-Komplex hervorzuheben, so verwunderlich bleibt es doch, dass sowohl Helmuth Nürnberger als auch Klaus-Peter Möller, aber eben auch Christine Hehle und Hanna Delf von Wolzogen in all diesen Erläuterungen und Kommentaren nicht einmal die Frage gestellt haben, warum Fontane in diesem einen Fall einen anderen Vornamen ins Auge fasst und das in einem Fragment, dessen Ausarbei­tung auf über neun Druckseiten bis in die Kapiteleinteilung hinein ver­gleichsweise weit gediehen ist. Diese Frage, die meines Wissens nach in der gesamten Fontane-Forschung zum Melusinischen noch nirgends gestellt worden ist, drängt sich auch deshalb auf, weil allgemein bekannt ist, dass die Namensgebung in Fontanes Erzählwerk niemals willkürlich erfolgte, sondern stets Ausdruck mit ihr verbundener Intentionen gewesen ist. Und schließlich hätte es schon genügt, den von Fontane im Text versteckten Hin­weis einmal ernst zu nehmen:»[...] und sie heißt nicht umsonst Oceane.« 21 Warum also der Vorname Oceane? Textintern wird im Gespräch der beiden Freunde sogleich eine mögliche Erklärung erwogen. Als Experte für»Wasserbaukunde« 22 habe der Vater damals eine Brücke gebaut:»Und den Tag wo die Brücke fertig war, wurde das Kind geboren und sie nannten sie Oceane. Und sie sagten, daß welche von den Meerweibern Gevatter gestanden habe.« 23 Überzeugend ist dieser Erklärungsversuch allerdings nicht. Denn eine Brücke verbindet Land mit Land, überwindet Tiefen und Abgründe. Wer auf einer Brücke steht, befin­det sich in luftiger Höhe. Demnach wäre ihr Element die Luft, nicht das Wasser tief unter ihr. Einen anderen, die Textimmanenz überschreitenden Hinweis liefern schon 1975 Rainer Bachmann und Peter Bramböck im ent­sprechenden Band der Nymphenburger Fontane-Ausgabe. Den Halbsatz »und sie heißt nicht umsonst Oceane« greifen sie in ihren Anmerkungen auf 24 und zitieren Erich Wentscher, der in seinem 1928 erschienenen Buch Die Rufnamen des deutschen Volkes zum Rufnamen Oceane folgendes ­bemerkt:»Die Kunstreiterin Oceana Renz war so benannt worden, weil sie