Heft 
(2020) 110
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118 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 1857 auf einem Dampfer auf dem Meere geboren worden war.« 25 Abwegig scheint dieser Hinweis nicht, lässt sich doch zeigen, dass Fontane in seiner Namensgebung ganz gezielt zeitgeschichtliche Bezüge einkalkulierte so etwa beim Namen Krake Tördenskjöld im Fragment Melusine von Cadoudal. Renate Böschenstein hat darauf hingewiesen, dass dieser Name»bei den Zeitgenossen unfehlbar die Assoziation ›Nordenskjöld‹ hervorrief, den Na­men des damals ungemein bekannten Polarforschers.« 26 Demnach läge in unserem Fall die Assoziation Oceana Renz nahe, war sie doch eine bekannte Artistin des Circus Renz. Und in der Tat: Der Zirkus Renz findet im Werk Fontanes durchaus Erwähnung. In Frau Jenny Treibel(1893) ist es Rosalie Schmolke überlassen, im Gespräch mit Corinna Schmidt deren Heiratspläne mit den Worten zu kommentieren:»[...] aber heirathen is ja nich bei Renz in n Circus.« 27 Und in einem Brief vom 15. Februar 1888 bemerkt Fontane: »Der Zirkus Renz, so sagte mir meine Frau, ist um die Sommerszeit immer geschlossen.« 28 Darüber hinaus wissen wir, dass das Zirkusmilieu im Pro­sawerk Fontanes mehrfach angespielt wird. Schon 1964 hat Peter Demetz darauf hingewiesen, dass die Welt der Artisten und Kunstreiter»das Au­ßer-Gesellschaftliche« und»Romantische« 29 bei Fontane repräsentiert, eine Gegenwelt etwa zum kleinbürgerlichen Milieu der Mathilde Möhring. Für die Hanser Fontane-Ausgabe, später dann auch für die Ullstein Werkausgabe haben Walter Keitel und Helmuth Nürnberger den Hinweis auf Oceana Renz übernommen und die entsprechende Stelle aus Erich Wentschers Die Rufnamen des deutschen Volkes zitiert. Und dennoch hat es den Anschein, als verliere sich diese Spur im Vagen und Ungefähren. Denn mit Blick auf Fontanes Oceane, die sich durch»etwas Elementargeisterarti­ges« 30 auszeichnen soll, schafft der pauschale Verweis aufs Zirkusmilieu keine rechte Klarheit. Verantwortlich dafür ist jedoch ein Umstand, der bis­lang unbemerkt geblieben ist: Erich Wentscher irrt, wenn er die 1856 auf einem Dampfer geborene Oceana Renz als»Kunstreiterin« bezeichnet. Als Kunstreiterin ausgebildet wurde ihre erst 1874 geborene Tochter gleichen Namens. Deren Mutter aber war in den 1870er und 1880er Jahren eine weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannte Seiltänzerin wenn man so will: eine ›Tochter der Luft‹. Ob es sich nun um Effi Briest handelt oder um Grete Minde: das Fliegen, untrennbar gekoppelt an das Motiv der Sehnsucht, ge­hört zu den textübergreifenden Leitmotiven im literarischen Prosawerk Fontanes. Und weil das so ist, dürfte es sinnvoll sein, einige Sätze zur ›Luft­künstlerin‹ Oceana Renz einzuflechten. 31 Geboren wurde Oceana Renz als Oceana Gutteridge Sprake, Tochter eines englischen Pfarrers, am 11. Juni 1856 wohl auf der Überfahrt von Southampton nach New York. Noch keine siebzehn Jahre alt, heiratete sie am 8. März 1873 in Berlin den 1851 geborenen Ernst Johann Gottlieb Renz, einen der Söhne des Zirkusbegründers Ernst Renz. Am 10. Januar 1874