Heft 
(2020) 110
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Nomen est omen  Sill 119 kam ihre Tochter Amanda Ernestine Oceana ›Lucy‹ Renz zur Welt. Oceana Renz starb früh: am 16. April 1894 in Nizza. Über die Umstände ihres To­des ist wenig bekannt. Der Totenschein vermerkt lediglich:»cause of death: Paralysis.« Ihre größten Erfolge feierte Oceana Renz offenbar in Berlin. Hier hatte der Circus Renz seit 1879 seinen Stammsitz: eine ehemalige Markthalle in Berlin-Mitte, die eigens zu diesem Zweck umgebaut worden war und mit 5600 Sitzplätzen Platz bot. August Cahnbley, damals Kapellmeister des acht­zehn Musiker umfassenden Zirkus-Orchesters, komponierte eigens für sie einen Walzer. Oceana Walzer, für Klavier componiert und Frau Oceana Renz hochachtungsvoll gewidmet/ Von: August Cahnbley ist auf dem Deckblatt der 1890 im Druck erschienenen Noten zu lesen. Dass Oceana Renz eine weithin bekannte Artistin gewesen ist, wird noch von einer ganz anderen Seite aus bestätigt. In ihrer Autobiografie berichtet Erika von Watzdorf-Ba­choff, wie sie im Jahre 1894 in Rom die Tochter Oceana kennen lernte. Frei­lich habe Oceana darauf bestanden, nur noch Lucy genannt zu werden. Seit kurzem verheiratet mit Baron Eduard von Lepel 32 , habe sie sich endgültig aus dem Zirkusmilieu gelöst, damit auch Abschied genommen von ihrer frü­heren Existenz als Kunstreiterin. Von Lucy, so Erika von Watzdorf-Bachoff, habe sie auch die Geschichte der Seiltänzerin Oceana Renz erfahren:»Lucys Mutter, die Oceana hieß, weil sie während irgendeiner Seereise das Licht der Welt erblickte, entstammte einem englischen Pfarrhaus, dem sie entfloh, um als große Schönheit und Drahtseilkünstlerin im Zirkus Renz, dessen einen Inhaber sie heiratete, eine große Rolle zu spielen.« 33 In dieser Rolle zeigt sie die eingangs abgebildete Porträt-Visitenkarte. Die kleine, auf Karton aufgeklebte Fotografie eines unbekannten Fotografen findet sich im Archiv des Musée Carnavalet in Paris. Die Bildbeschreibung auf der Rückseite lautet:»Portrait dOcéana Renz, danseuse de corde en 1878.« Die Beine himmelwärts voraus, allen Gesetzen der Schwerkraft wi­dersprechend, scheint die Akrobatin durch die Luft zu fliegen. Solch über­natürlicher Eindruck wird allerdings erzielt durch einen einfachen Trick. Kippt man die Fotografie nach links, liegt Oceana Renz auf dem Drahtseil, bequem ausgestreckt, als läge sie in einer Hängematte. In dieser Position, noch immer erstaunlich genug, entstand die Fotografie, deren vertikale Ausrichtung auf der Visitenkarte das Akrobatische ins Übernatürlich-Sen­sationelle steigern sollte. In der Tat: Die»Luftkünstlerin« führt hier»merk­würdige Sachen« vor.»Abgebildet auf dem Zettel« an der Litfaßsäule,»flog [sie] durch die Luft« und raubt dem versonnen betrachtenden Hugo Groß­mann im Romanfragment Mathilde Möhring fast den Atem:»Wenn ich ­solche schöne Person durch die Luft fliegen sehe, bin ich wie benommen und eigentlich beinah glücklich.« 34 Hugo Großmann schwärmt. 35 Und es ist iederum Melusine von Barby vorbehalten, Pastor Lorenzen und uns