Heft 
(2020) 110
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120 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­aufzuklären über die Natur dieses Gefühls:»Nichts beneidenswerter als eine Seele, die schwärmen kann. Schwärmen ist fliegen, eine himmlische Bewegung nach oben.« 36 Ob Theodor Fontane die Visitenkarte der Oceana Renz kannte, wissen wir nicht. Denkbar wäre es. Wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich aber ist, dass er bei der Namenswahl Oceane die damals naheliegende Assoziation Oceana Renz einkalkulierte. Obwohl auf dem Meer geboren, war ihr Ele­ment doch eher die Luft, in der sie scheinbar schwerelos zu fliegen schien. Und deshalb tritt, anders als beim Namen Melusine, das Element der Luft in der Namenswahl Oceane sehr viel deutlicher hervor. Auch der Handlungs­verlauf des geplanten Oceane-Romans bestätigt diese Überlegungen und zwar in Gestalt einer ausdrücklichen Bezugname Fontanes auf Eduard Mörikes allegorische Figur der Windsbraut. Im 5. Kapitel, vorgesehen waren»Badeleben-Scenen« 37 , sollte es im Ge­spräch zwischen dem Protagonisten und Oceane einmal mehr um das Ele­mentare gehen. Neben Richard Wagner wird hier auch Eduard Mörike er­wähnt, unter anderem die»Sturm=Gret« 38 . Das 6. Kapitel wiederum, noch gänzlich unausgeführt, sollte Folgendes zur Darstellung bringen:»Sturm­nacht/ Große Schilderung/ Sturm=Gret« 39 . Aufgegriffen wird damit ein Motiv, das im Melusine-Fragment von 1877 bereits erwähnt wird, dort al­lerdings eher fehl am Platze zu sein scheint, weil die vorgenommene Cha­rakterisierung der geplanten Melusine-Figur ansonsten ganz und gar auf das Element Wasser zugeschnitten ist:»Das Mädchen ist eine Art Wasser­nixe, das Wasser ist ihr Element[...]. Sie liebt das Melusinen=Märchen und Mörikes Gedicht von der ›Windsbraut‹.« 40 Das passt hier(noch) nicht so recht und dürfte Fontanes Entscheidung mit befördert haben, seiner Me­lusine im nächsten Anlauf den Namen Oceane zu verleihen. Die allegorische Figur der Windsbraut findet sich in der vierten Strophe des Mörike-Gedichts Die schlimme Greth und der Königssohn(1838). Sie lau­tet:»Es riß die rothe Fahn vom Thurm/ Die Windsbraut und ihr Troß/ Es that sich auf der Erden Grund,/ Es fiel mein Königsschloß.« 41 Dazu bemerkt Mathias Mayer:»Vor allem diese Metapher von Wind und Sturm ist für Mörike ein Kennzeichen der Liebespoesie. Die stürmische Liebe kann in kei­ner Weise festgehalten werden« 42 . Als zusätzlicher Beleg zitiert sei Eduard Mörikes Gedicht Im Frühling aus dem Jahr 1829:»Ach, sag mir, all-einzige Liebe,/ wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe!/ Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.« 43 Vor diesem Hintergrund kann es eigentlich gar nicht anders sein: Nach der vorgesehenen»Sturmnacht« macht der Protagonist in Fontanes Frag­ment Oceane von Parceval eine»leidenschaftliche Liebeserklärung«. Doch aus dem ersehnten Liebesglück erwächst keine Verbindung von Dauer. Oce­ane, nachdem sie»Abschied von der Mutter« 44 genommen hat, schwimmt bald darauf aufs offene Meer hinaus, um niemals zurückzukehren.