122 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ben. Noch im 1. Kapitel des Oceane-Fragments klärt der Freund den Protagonisten auf über die»complizirte Abstammung« Oceanes. Sie sei»aus einer französ. englischen Ehe hervorgegangen«. Obwohl»seit frühster Jugend eine Deutsche« 48 , weist die Schreibweise ihres Namens noch immer hin auf ihre französisch-englischen Wurzeln. Weitaus wichtiger als der Bezug zum bayerischen Infanteriegeneral dürfte jedoch jene Assoziation sein, die sich nach der Veröffentlichung eines Romans mit dem Titel Oceane von Parceval unzweifelhaft beim zeitgenössischen Leser eingestellt hätte: der Bezug zu Wolfram von Eschenbachs mittelhochdeutschem Versepos Parzival. Wolframs wichtigstes Werk, entstanden im Zeitraum zwischen 1200 und 1210 als eigenständige Bearbeitung eines altfranzösischen Stoffs, gehörte zu Fontanes Zeiten noch immer zum festen Bestand des bildungsbürgerlichen Kanons. Auch Fontane selbst war Wolfram von Eschenbach durchaus ein Begriff. Geweckt hatte sein Interesse insbesondere ein Vortrag, den Otto Roquette den Mitgliedern des literarischen Klubs Ellora im Dezember 1860 gehalten hatte. Noch immer voller Begeisterung berichtet Fontane davon am 23. Dezember in einem Brief an Paul Heyse:»In der Ellora haben wir noch Otto Roquette. Er schreibt jetzt eine Literatur-Geschichte, wovon ich Anfangs, wie Du Dir denken kannst, nicht viel wissen wollte. Die beiden letzten Kapitel aber die er uns vorgelesen hat(Wolfram v. Eschenbach und Gottfried v. Straßburg) waren so ausgezeichnet, so klar, so maßvoll, so vortrefflich stylisiert, so überaus interessant, daß ich dadurch andren Sinnes geworden bin« 49 . Zur großen Popularisierung des Parzival-Stoffes trug schließlich auch Richard Wagner bei. Im selben Jahr, in dem Fontane mit seinem Oceane-Projekt beschäftigt war 50 , wurde Wagners Parsifal am 26. Juli 1882 in Bayreuth uraufgeführt. Einige Jahre später, im Juli 1889, unternimmt Fontane von Bad Kissingen aus eine dreitägige Reise nach Bayreuth – eigens zu dem Zweck, Wagners Opern, darunter seine Bearbeitung des Parzival-Stoffes, mitzuerleben. Sein Vorhaben scheitert jedoch: von Platzangst erfasst, von Schwindelanfällen und Atemnot heimgesucht, muss Fontane noch vor dem Ende der Ouvertüre das überfüllte Festspielhaus verlassen. 51 Noch immer dürfte gelten, was Joachim Bumke bereits 1964 in seiner Monografie Wolfram von Eschenbach zum Stoff der Parzival-Sage hervorgehoben hat:»Die Parzival-Gral-Sage gehört zum großen Themenkreis der Matière de Bretagne, unterscheidet sich jedoch von den übrigen Sagen um König Artus durch eine Reihe von ausgesprochen christlichen Motiven, die nicht aus keltischer Überlieferung stammen können.« 52 Wenn es gilt, das weite Feld möglicher Motivbezüge zwischen Fontanes Fragment Oceane von Parceval und Wolframs Versepos Parzival näher einzukreisen, dann sind es wohl die»christlichen Motive«, die Wolfram in den bretonisch-keltischen Sagenstoff eingearbeitet hat. Denn spätestens mit dem 4. Kapitel
Heft
(2020) 110
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