Heft 
(2020) 110
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142 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Gegenden mit einer Art Spritzpistole ausgestattet, mit der auch in den ­Geburtskanal hinein getauft werden konnte. Das ungeboren bleibende Kind, das wegen der Erbsünde andernfalls direkt zur Hölle gefahren wäre, sollte wenigstens vor diesem Schicksal bewahrt bleiben. In Berlin ließen zu dieser Zeit allerdings doch schon zahlreiche Eltern oder Mütter ihre nicht überlebensfähigen Kinder»ungetauft« sterben, wie die Kirchenbücher je­weils ­vermerkten, nahmen die Folgen dieses Versäumnisses also in irgend­einem Sinn in Kauf. So weit wollte man im Haus Fontane jedoch nicht gehen. Bei dem Ende August 1852 geborenen Rudolph rief man zwei Wochen nach der Geburt Fournier zu einer»Nottaufe« in die Puttkamerstraße und wende­te so das»ungetauft« in letzter Stunde ab. Ebenfalls eine Nottaufe nahm 1855 ein Pfarrer in Luckenwalde vor, wo Emilie während einer Pfingstfahrt ein Siebenmonatskind zur Welt gebracht hatte, das nur zehn Tage lebte. Auch für die drei weiteren Kinder, die Fontane und seine Frau noch tau­fen ließen, kam Fournier ins Haus, in diesen Fällen aber nicht, soweit er­sichtlich, weil eine Notlage vorlag, sondern weil man sich den Kirchgang ersparen wollte. Bei dem im Oktober 1853 geborenen Peter Paul stellte sich in der Luisenstraße»der ganze Rütli« zu Gevatter ein, wie Tunnel-Freund Eggers bemerkte. 20 Geholfen hat es dem Kind allerdings nicht, es wurde nur ein halbes Jahr alt. Für die 1860 zu taufende Tochter Martha wurde Fournier in die Tempelhofer Straße bestellt, und für den letztgeborenen Friedrich war es 1864 ein Termin in der Hirschelstraße. Wie lange so ein Besuch dauerte, ist nicht festgehalten, doch Stoff für ein persönliches Ge­spräch hätte es immer gegeben. In den Londoner Jahren hatte sich Fontane mit Fournier auch brieflich ausgetauscht, wenn schon mit eher unbefriedi­gendem Ausgang. 1852 wollte ihm dieser einen Kontakt in London vermit­teln, was Fontane wegen der damit verbundenen Umstände aber nicht auf­griff. Sechs Jahre später wurde er von ihm gebeten, einen Aufsatz über den jüngst verstorbenen General Havelock zu schreiben, den zu veröffentlichen Fournier dann aber nicht gelang. Trotzdem blieb das Verhältnis intakt. ­Fontane besuchte Fournier mitunter, und zu den Taufen wurde eben auch er und kein anderer Pfarrer geholt. 5. Fournier und die geohrfeigte Braut Wie gewogen Fontane Fournier immer blieb, zeigt am besten sein Urteil über den Skandalfall, der 1869 Fourniers Ruf in der Öffentlichkeit schwer beeinträchtigte und ihn mit siebzig Jahren zur Niederlegung seines Amtes zwang: Er hatte einer jungen Frau, die schwanger zur Trauung erschienen war, eine Ohrfeige versetzt.»Hochmut« ist das einzige, was Fontane ihm in diesem Zusammenhang vorwirft. Zwar sei er strenggläubig gewesen, habe aber»durchaus  über  den Dingen« gestanden,»mehr vielleicht, als er seiner