Heft 
(2020) 110
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150 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte in Hannover war Theodor wiederum nach Berlin versetzt worden, inzwi­schen als Intendanturrat, und fand eine Wohnung im damals neu entstehen­den»Bayrischen Viertel« nahe dem Wittenbergplatz. Einen Kirchenkontakt hatte er dort natürlich nicht, konnte sich mit der Taufe des Kindes aber auch Zeit lassen. Längst wurden die Neugeborenen standesamtlich registriert, die Taufe war immer nur der zweite Akt. Fontane scheint angeregt zu haben, den Prediger Neßler von der Französischen Friedrichstadtkirche zu neh­men, mit dem er in einer Art kollegialem Austausch stand. Karl Neßler ver­fasste Reiseberichte und hielt auch Vorträge im Verein für die Geschichte Berlins. Doch Theodor wollte ihn nicht. Am 11. Juli 1896 schreibt Fontane an Martha, er habe von Neßler ein»nett und manierlich« geschriebenes Heft­chen über Christi Gefangennahme in Gethsemane erhalten und bedauere, dass er»für Theo und Otto nicht fromm genug ist oder wohl gar nicht fromm genug für die kleine Oberpoststietze«, also die sechsjährige Gertrud. 40 Für welchen Pfarrer, welche Kirche sich Theodor stattdessen entschied, ist bei seiner Zugehörigkeit zum preußischen Militär nicht schwer zu erra­ten: die Taufe von Tochter Martha am 27. September 1896 fand in der Garni­sonkirche statt. 41 Deshalb konnten sowohl Fontane wie die Geschwister Martha und Friedrich ihre Teilnahme ohne Weiteres zusagen: bis zur Neuen Friedrichstraße rechts der Spree gegenüber der Nationalgalerie brauchte man vom Potsdamer Platz aus nur eine dreiviertel Stunde. 42 Emilie aller­dings ließ sich schon eine Woche vorher entschuldigen, sie hatte eine Reise nach Dresden zu ihrer Freundin Johanna Treutler vor.»Natürlich könnte sies verschieben«, schreibt Fontane am 19. September an Theodor,»es ist aber, wie der Hase nun mal läuft, für alle Theile besser, sie fehlt. Deiner Frau geben wir uns darüber keinen Illusionen hin wird bei dieser Nachricht ein Stein vom Herzen fallen und Mama selbst kommt um eine bedrückliche Scene.« 43 Das wird sich auf die Unstimmigkeiten beziehen, die es über länge­re Zeit hin zwischen Theo und seiner Frau zuvor gegeben hatte und bei de­nen Emilie wohl allzu entschieden für ihren Sohn eingetreten war. Auch für die Kinder dieser Ehe kam ein Eintritt in die Berliner Franzö­sische Gemeinde nicht mehr in Betracht. Theodor junior wechselte 1899 für fast zehn Jahre zur Militärintendantur nach Kassel, so dass die beiden Älteren dort konfirmiert wurden. Sohn Otto(1887–1958) wurde dann Kai­serlicher Marineoffizier und heiratete nach Hamburg, heuerte aber auch in Hitlers Kriegsmarine noch wieder an, weil ihn der zwischenzeitliche Polizeidienst nicht befriedigt hatte. 44 Tochter Gertrud, die»kleine Ober­poststietze«, heiratete, als hätte es Fontane vorhergewusst, einen hohen thüringischen Postbeamten, mit dem sie nach Erfurt zog 45 , und die nachge­borene Martha verband sich mit der jüdischstämmigen Familie Rinkel in Schlesien. 46 Theo selbst aber und seine Frau, gestorben 1933 und 1934, lie­ßen sich nicht auf dem Französischen Friedhof an der Liesenstraße bestat­ten, sondern auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf. 47