150 Fontane Blätter 110 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte in Hannover war Theodor wiederum nach Berlin versetzt worden, inzwischen als Intendanturrat, und fand eine Wohnung im damals neu entstehenden»Bayrischen Viertel« nahe dem Wittenbergplatz. Einen Kirchenkontakt hatte er dort natürlich nicht, konnte sich mit der Taufe des Kindes aber auch Zeit lassen. Längst wurden die Neugeborenen standesamtlich registriert, die Taufe war immer nur der zweite Akt. Fontane scheint angeregt zu haben, den Prediger Neßler von der Französischen Friedrichstadtkirche zu nehmen, mit dem er in einer Art kollegialem Austausch stand. Karl Neßler verfasste Reiseberichte und hielt auch Vorträge im Verein für die Geschichte Berlins. Doch Theodor wollte ihn nicht. Am 11. Juli 1896 schreibt Fontane an Martha, er habe von Neßler ein»nett und manierlich« geschriebenes Heftchen über Christi Gefangennahme in Gethsemane erhalten und bedauere, dass er»für Theo und Otto nicht fromm genug ist oder wohl gar nicht fromm genug für die kleine Oberpoststietze«, also die sechsjährige Gertrud. 40 Für welchen Pfarrer, welche Kirche sich Theodor stattdessen entschied, ist bei seiner Zugehörigkeit zum preußischen Militär nicht schwer zu erraten: die Taufe von Tochter Martha am 27. September 1896 fand in der Garnisonkirche statt. 41 Deshalb konnten sowohl Fontane wie die Geschwister Martha und Friedrich ihre Teilnahme ohne Weiteres zusagen: bis zur Neuen Friedrichstraße rechts der Spree gegenüber der Nationalgalerie brauchte man vom Potsdamer Platz aus nur eine dreiviertel Stunde. 42 Emilie allerdings ließ sich schon eine Woche vorher entschuldigen, sie hatte eine Reise nach Dresden zu ihrer Freundin Johanna Treutler vor.»Natürlich könnte sie’s verschieben«, schreibt Fontane am 19. September an Theodor,»es ist aber, wie der Hase nun mal läuft, für alle Theile besser, sie fehlt. Deiner Frau – geben wir uns darüber keinen Illusionen hin – wird bei dieser Nachricht ein Stein vom Herzen fallen und Mama selbst kommt um eine bedrückliche Scene.« 43 Das wird sich auf die Unstimmigkeiten beziehen, die es über längere Zeit hin zwischen Theo und seiner Frau zuvor gegeben hatte und bei denen Emilie wohl allzu entschieden für ihren Sohn eingetreten war. Auch für die Kinder dieser Ehe kam ein Eintritt in die Berliner Französische Gemeinde nicht mehr in Betracht. Theodor junior wechselte 1899 für fast zehn Jahre zur Militärintendantur nach Kassel, so dass die beiden Älteren dort konfirmiert wurden. Sohn Otto(1887–1958) wurde dann Kaiserlicher Marineoffizier und heiratete nach Hamburg, heuerte aber auch in Hitlers Kriegsmarine noch wieder an, weil ihn der zwischenzeitliche Polizeidienst nicht befriedigt hatte. 44 Tochter Gertrud, die»kleine Oberpoststietze«, heiratete, als hätte es Fontane vorhergewusst, einen hohen thüringischen Postbeamten, mit dem sie nach Erfurt zog 45 , und die nachgeborene Martha verband sich mit der jüdischstämmigen Familie Rinkel in Schlesien. 46 Theo selbst aber und seine Frau, gestorben 1933 und 1934, ließen sich nicht auf dem Französischen Friedhof an der Liesenstraße bestatten, sondern auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf. 47
Heft
(2020) 110
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