und dessen Dechiffrierwille, sondern Fontanes „nach Harmonie und Versöhnung strebender Politikansatz" (302), der „dem politisch polarisierten Publikum jede Form der Vereinnahmung und Sensationslust verweigerte" (307), genannt wird. Auf dieses logische und interessante Argument, das Fontane wahrscheinlich gefallen hätte, kann und muß man antworten, daß Fontane sehr wohl erfolgreich war, daß das Argument von falschen Voraussetzungen ausgeht. Denn obwohl seine Bücher relativ niedrige Auflagen erfuhren — übrigens war nicht Effi Briest, sondern Frau Jenny Treibel sein größter Verkaufserfolg zu Lebzeiten —, zahlten ihm die Massenzeitschriften, die die Romane alle im Vorabdruck herausbrachten, nicht zufällig die höchsten Honorare, wie Peter Wruck neulich ausführlich dargelegt hat 8 . In diesem scheinbaren Widerspruch — hohe Vorabdruckszahlen, niedrige Buchauflagen — liegt m. E. der wunde Punkt des Erzählers Fontane. Danach zu urteilen haben die Zeitgenossen Fontane nur in kleinen Stücken gern genossen, während seine Zusammenhänge ihnen völlig abgingen. Seine Klagen über das Schicksal darf man eben nicht für bare Münze nehmen.
Warum ist also nach der erfolgreichen politischen Rehabilitation Fontanes dieser methodische Störfall aufgetreten? Zum einen wurde der richtige wissenschaftliche Ansatz mit einer Wiederherstellung der zeitgenössischen Leserperspektive verwechselt, die für immer verloren ist. Zum anderen ist die Theorie vom Versteck- Sprachspiel wohl unzureichend dargestellt bzw. verstanden worden. Über die faszinierende Spielvariante eines „völligen Verschwindens" wurde vergessen, daß Versteck normalerweise nur so lange ein Spiel bleibt, wie der Sich-verstek- kende auch entdeckt werden kann, und zwar ohne übergroße Mühe. Hat der Wissenschaftler nun alle erdenklichen politischen Versteckplätze Fontanes von vornherein ausgeleuchtet und eine ausgeklügelte Systematik seiner Taktiken aufgestellt, so können die daraus gewonnenen Interpretationen nachträglich wirklich wie selbstverständlich aussehen. Diese Einsichtigkeit darf aber nicht mit Empirie verwechselt werden; sie ergibt sich bei Loster-Schneider vielmehr daraus, daß eine autornahe Hermeneutik analog-empirisch erarbeitet worden ist. Was sie uns aber dann vorführt, wenn sie sich mit den indirekt dargestellten politischen Themen befaßt, illustriert das, was Fontane selbst als Versteckspiel' bezeichnete. Die Angleichung an Wittgensteins Sprachspielgedanken empfiehlt sich, weil sich darin Empirisches und Hermeneutisches durchaus aufeinander abstimmen lassen. Alle menschlichen Aussagen, seien sie Fakten oder Interpretationen, bringen ihr eigenes Sprachspiel mit sich; nur die Regeln sind unterschiedlich. „Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen 9 ." Beherrschten wir Fontanes Erzähltechnik, würden wir ihn besser verstehen können.
Anmerkungen
1 Dazu verweist L.-S. auf Wolfgang Paulsen, „Zum Stand der heutigen Fontane- Forschung, JDSG 25 (1981), 474-508, der weniger zugespitzt schrieb, „daß auch das Fontane-Bild als solches, in biographischer wie interpretatorischer Hinsicht, für unsere Generation ziemlich festliegt.' (476)
2 Dazu verweist L.-S. auf Richard Brinkmann, Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen (München; Piper, 1967), wo es heißt, „Schon vor Jahrzehnten
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