Heft 
(2020) 110
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164 Fontane Blätter 110 Nachruf ­herausgab. Noch immer, gestand er, könnten einzelne Balladenzeilen»bei mir eine Gänsehaut verursachen«. Wenn er sich frage, warum gerade Fon­tane, dann fallen ihm die dargestellten Örtlichkeiten ein und die Bilder»ei­ner Landschaft, die ich von Kindheit an kannte und liebte und die ich hier wiederfand, vertraut und doch fremd« 7 . Die unverwechselbare Sprachmelo­die bewirke, was mancher Musik gelänge:»Sie wird schöner durch Vertraut­heit«, durch Wiederholung. Als ich diese Geständnisse las, war das Buch längst nur noch antiqua­risch zu haben. Peter Wruck, Verfasser des Nachwortes, hatte es mir 1988 geschenkt. Amüsiert von der Geschichte meiner persönlichen Bekannt­schaft mit de Bruyn, meinte er, das könne vielleicht etwas für mich sein. Ich war, dies nur beiläufig, mit der Moderation einer Lesung de Bruyns wäh­rend des Internationalen Hochschulferienkurses beauftragt worden. Aber anstatt mit ihm über dessen literarisch großartigen und politisch befehde­ten Roman Neue Herrlichkeit zu reden, war ich im Vorgespräch unversehens in die Welt von Lessing-Franz Kugler, Anakreon-Friedrich Eggers und Höl­ty-Paul Heyse geraten. Sein»das ist ja spannend, wissen Sie, das interessiert mich alles sehr« hatte mich derart befeuert, dass bei der Vorstellung alles Licht auf einen soeben in den Fontane Blättern erschienenen dreiseitigen Aufsatz gefallen war. Das Erzählwerk hatte sich mit drei, vier Gemeinplät­zen begnügen müssen, ein Umstand indes, den mir der Autor gar nicht ver­übelt hatte. Kaum waren wir an der frischen Luft gewesen, hatte er den Fontane-Faden wieder aufgenommen und beim Abschied darum gebeten, doch auf dem Laufenden gehalten zu werden. Bald war offensichtlich, wie ernst es Günter de Bruyn mit Fontane mein­te und wie ernsthaft sein Interesse war. 1989, als die die weltpolitische Lage eine in dieser Weise unerwartete Wende nahm, erschienen zwei maß­gebliche Publikationen, die seinem Namen mit dem Fontanes verknüpften. Im Band 3 des von Walter Killy herausgegebenen Literaturlexikon hatte er den hochkarätigen Artikel»Theodor Fontane« 8 verfasst, und im Sonderband von Text+Kritik den bald vielzitierten Aufsatz Mein Liebling Marwitz oder Die meisten Zitate sind falsch 9 . Am Lexikonartikel fällt auf, mit welcher be­hutsamen Wachheit und sprachlicher Klarheit de Bruyn auf die sogenannte ›mittlere‹ Phase Fontanes eingeht. Damit lag er auf einer Linie mit Forschun­gen etwa von Peter Wruck, dessen Ansätze aus den sechziger Jahren nun Anfang der neunziger die ihnen gebührende Resonanz fanden. Dass es ge­rade Friedrich August Ludwig von der Marwitz auf Friedersdorf war, dem de Bruyns Text+Kritik-Aufsatz galt, weist schon auf die schriftstellerischen Neigungen der nächsten Jahre hin. Dass Gewissenhaftigkeit, die diese Ar­beiten auszeichnet, mit Gewissen zu tun hat, verdient einen schönen Beleg: [] Ich behaupte(S. 26) ganz am Schluß, daß Fontane eine Marwitz­Anekdote erfunden habe aber das stimmt nicht; an sehr entlegener Stelle bei Marwitz gibt es sie doch. Der Witz daran ist, daß ich das nun