172 Fontane Blätter 110 Rezensionen lassen, legt er eine sehr individuelle Betrachtung an den Tag, die zwar keine kunsthistorische Expertise bietet, dafür aber seine erzählerischen Talente offenbart. Unter den zahlreichen italienischen Motiven in Fontanes Werk, denen der Band ein eigenes Kapitel widmet, haben Hochzeitsreisen, die die im Alter noch gewachsene Skepsis des Verfassers gegenüber Italien artikulieren, sicher den höchsten Bekanntheitsgrad. So sind wohl jedem Fontane-Leser die Qualen Effis präsent, die von Innstetten auf einer Tour durch Galerien und Kirchen mit dem Pflichtprogramm und Bildungswissen kunstbeflissener Italienreisender traktiert wird.»Aber es muß ja sein«(90), lautet die sowohl für die Kunst wie für die Ehe geltende Maxime. Darüber hinaus legt Dieter Richter noch eine ganze Reihe weiterer Italien-Spiegelungen im Werk Fontanes offen, die aber an dieser Stelle unerwähnt bleiben müssen, um die Vorfreude auf die Lektüre nicht zu schmälern. Gemeinsame Reisen von Paaren stellten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber älteren Zeiten, in denen das Reisen vornehmlich den Männern vorbehalten war, eine Neuheit dar. Wie Theodor Fontane führte auch seine Frau Emilie auf der Italienreise 1874 ein Tagebuch, in dem sie unbefangen ihre Eindrücke festhielt. Die Parallelität der beiden überlieferten Materialien ist vor allem unter reise- und kulturhistorischen Gesichtspunkten aufschlussreich, da sich die Erfahrungen und Ansichten wechselseitig ergänzen. In Venedig notiert Emilie:»Während unseres Aufenthalts das schönste Wetter, gar nicht zu heiß, nur freundliche Menschen, nirgends Uebertheuerung, dazu diese Natur und Kunst – facit: Venedig kann wieder besucht werden.«(68, 69) Zu schaffen machten ihr aber die ausgedehnten Museums- und Kirchenbesuche ihres Gatten, denen sie sich nur gelegentlich durch kleine Abstecher zu entziehen wusste. Schon in Florenz bricht es aus ihr heraus:»Eigentlich ginge ich nun gern wieder ein bischen ›heeme‹, denn mein armer Grips reicht nirgends aus.«(69) Allerdings muss sie noch etliche Kunstausstellungen durchlaufen – allein die Vatikanischen Museen stehen siebenmal auf dem Programm –, bis ihr Wunsch Erfüllung findet. Einen letzten gelungenen Akzent setzt die Wiedergabe von Knittelversen mit dem Titel In memoriam Nicolai, die Fontane 1891 an seinen Verleger Wilhelm Hertz schickte. Der Sechzehnzeiler ist keineswegs Friedrich Nicolai(1733–1811) gewidmet, wie die Nymphenburger und die Hanser-Ausgabe mitteilen, sondern Gustav Nicolai(1795–1868), Verfasser des zu seiner Zeit umstrittenen Buchs Italien, wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden, als Warnungsstimme für Alle, welche sich dahin sehnen(1834). Erklärtes Ziel des erkennbar missvergnügten Verfassers war es, die Deutschen von ihrer durch Goethe, Jean Paul und die Romantik genährten»krankhaften Sehnsucht nach dem Süden«(106) zu heilen. Vor diesem Hintergrund wirft das Gedicht In memoriam Nicolai die
Heft
(2020) 110
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