Heft 
(2020) 110
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Christoph Wegmann: Der Bilderfex  Aust 177 Hervorgehoben sei eigens der Anmerkungsteil, der nicht nur Quellenbelege gibt, sondern sich immer wieder zu vertiefenden Exkursen ausweitet(z.B. die Exkurse zum»inneren Auge«, S. 471, zu»Fontane und die Bäckerkunst«, S. 475 f., hier mit der gelungenen Formulierung:»Der Napfkuchen ist also die Schlafmütze unter den Bäckereikunstwerken«, oder über»Emil Benjamin bei Rudolf Lepke«, S. 481 f.). Der Rundgang durchs vorgestellte Fontane-Museum, wie ihn Wegmann organisiert, beginnt regelmäßig bei der Registrierung der bildrelevanten Textstelle. Jedes entdeckte, erschlossene oder gemutmaßte ›Ding‹ wird ab­gebildet und mit enormer Sachkenntnis kommentiert. Immer wieder weitet sich die einzelne Sacherläuterung zur biographischen oder historischen Auskunft über das Umfeld. Und obwohl nicht eigentlich beabsichtigt, kommt es durchaus zu texterschließenden und bilderhellenden Deutungen. Besonders fesselnd das ist ein persönlicher Eindruck fällt die Bildprä­sentation dort aus, wo Bild und epische Bildbeschreibung nicht genau über­einstimmen. Wer hat da flüchtig hingesehen oder wessen Bilderinnerung weist Lücken auf, oder ist das alles ›Finesse‹? Malerprofessor Cujacius kann kein guter Bildkenner sein, wenn er sich bei der Zahl der abgebildeten apo­kalyptischen Reiter und der keineswegs stehenden Tubabläser vertut. Illust­riert Böcklins Drachenschlucht die Angst des Herrn von Stechlin oder bricht sie den Schreck vor dem Verschlungenwerden humoristisch entzwei? Wer ›Erläuterungen‹ bei der Lektüre Fontanescher Romane braucht oder gern berücksichtigt, wird Wegmanns Bilderfex nicht mehr aus der Hand le­gen wollen, so reich und anregend ist alles. Ja, wer ›Lesereisen‹ mit offnem Auge liebt, kommt auf seine Kosten. Wegmann versteht es, die heutige Lek­türe mit kunsthistorischen Instrumenten zu orchestrieren, das heißt, heute Lesende so zu informieren, dass sie sich in den idealen Leser der Fontane­Zeit versetzen und alles sehen können, was dieses Konstrukt vor Augen ha­ben mochte. Ob die einmal real gesehenen Bilder in Wegmanns»imaginärem Muse­um« die Lektüre, die ja ihrerseits nicht minder ›imaginär‹ verläuft, stören könnten, wird nicht eigens bedacht. Wegmann beginnt mit»Elementarbil­dern«(S. 53) und behauptet:»Die Welt mit all ihren Dingen ist immer schon da, und mit ihnen sind es die Bilder«(S. 93). Zugleich steht er der bewusst­seinsphilosophischen Auffassung Henri Bergsons nahe, der zufolge jede Gegenstandswahrnehmung eine Bildwahrnehmung sei(S. 466 zu S. 53). So wird in allen Fällen die eher freizügige Bildbeschreibung durch die Schärfe der Abbildung ersetzt und verlockt zu dem vielleicht auch anfechtbaren Lob der»filmische[n] Kunstwirklichkeiten«(S. 16 und S. 470 f.) Fontanes und der stereotypen Klage über das Versagen von»Sprache und Logik«(S. 17) bei der Vermittlung einer bunten und vielfältigen Welt. Geht hier nicht verloren, was Fontanes»Sprache«, vielleicht sogar»Logik«, zu leisten vermag, da bei­de doch Wegmanns»imaginäres Museum« ausstatten? Wo genau»fehlten«