180 Fontane Blätter 110 Rezensionen dabei weniger diskursgeschichtlich und auch nicht – trotz des Rückgriffs auf die soziologische Akteur-Netzwerk-Theorie(ANT) – im engeren Sinne mediensoziologisch oder mediengeschichtlich ausgerichtet. Im Fokus steht vielmehr das, was die Literaturwissenschaft in der Regel am meisten interessiert, nämlich der»Text«, und zwar, wie Stockinger präzisiert, der ›ganze Text‹ der Zeitschrift,»der von den Jahrgangseinbänden über die Umschlagblätter und Inhaltsverzeichnisse der Jahrgänge sowie die Einzelhefte bis zu den Inseratenteilen oder Beilagen reicht«(S. 20–21). Es geht der Autorin mithin um die Faktur der Zeitschrift, um die Strategien der Verknüpfung und Bezugnahme zwischen einzelnen Texten sowohl innerhalb der einzelnen Ausgaben als auch über die Einzelhefte hinweg. Auf diese Weise entwickelt sie die Kernthese ihrer Studie, die besagt, dass der außergewöhnliche Erfolg der Gartenlaube primär»auf der Serialität ihres Programms« beruht (S. 12). Herausgearbeitet werden dementsprechend die»Formen und Verfahren des Seriellen«(ebd.), wie sie sich auf allen Ebenen des Periodikums, eben im ›ganzen Text‹ und nicht nur in den abgedruckten Fortsetzungsromanen und fortlaufenden Sachbeiträgen manifestieren. Eine Konsequenz aus diesem Ansatz ist, dass die einzelnen Textbausteine der Zeitschrift in ihrer Bedeutung für das Textganze gleich gewichtet werden. Statt(mit Genette) zwischen einem Haupttext und angelagerten oder rahmenden Para-, Peri- oder Epitexten kategorial zu unterscheiden, präfierte die Autorin, von peri- und paratextuellen Bezügen zwischen den einzelnen Textteilen zu sprechen, um ihr Verhältnis zueinander bestimmen zu können(S. 21). Bis in die kleinsten Verästelungen hinein werden die Bezüge zwischen den einzelnen Segmenten der Zeitschrift, von den fiktionalen und faktualen Beiträgen bis hin zu den Eigenwerbeblöcken, den Leserbriefen und den Illustrationen, beschrieben und interpretiert. Für den Leser ergibt sich daraus ein umfassendes Bild von den – um ein Wort der FontaneForschung zu gebrauchen – ›Finessen‹ eines Textes, der bisher kaum in einer solchen Weise auf seine kohärenz- und sinnstiftenden Verfahren analysiert wurde. Die Gartenlaube erscheint in Stockingers Buch als ein engmaschiges Netzwerk, an dem neben den Redakteuren und professionellen Autoren auch die Leser und zahlreiche nicht professionelle Schreiber mitwirkten. Diese Sichtweise auf den Gegenstand wird auch über die Strukturierung des Buches transportiert. Weder zielt die Darstellung auf einen chronologisch geordneten Aufriss, noch werden einzelne Akteure, Redakteure oder Autoren in Einzelporträts vorgestellt. Stattdessen fokussieren die Kapitel verschiedene Aspekte serieller Gestaltungs- und Lektürepraktiken wie die »Formen der Rubrizierung«,»Stückelungspraktiken und Fortsetzungslogiken« oder»Notationsformen des Seriellen«. In seiner eher paradigmatischen (und nicht syntagmatisch-chronologischen) Logik spiegelt dieser Aufbau also den Gegenstand der Analyse, die seriellen Organisationsprinzipien der
Heft
(2020) 110
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