Heft 
(2020) 110
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184 Fontane Blätter 110 Rezensionen Georg Herwegh: Werke und Briefe. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Hrsg. von Ingrid Pepperle in Verb. mit Volker Giel, Heinz Pepperle, Norbert Rothe und Hendrik Stein. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2005–2019. 6 Bände. 898, 556, 630, 352, 474, 790 Seiten. Zus. 738,-(jeder Band einzeln erhältlich) Georg Herwegh, dessen 200. Geburtstag wir 2017 feiern konnten, gehört zu den bedeutendsten und wirkungsvollsten Lyrikern der Vormärzepoche. Er hat wie kein Zweiter die politische Lyrik in Deutschland erneuert und bis weit ins 20. Jahrhundert beeinflusst. Seine Gedichte eines Lebendigen(1841) machten ihn schlagartig berühmt, ja zu einem Popstar der literarischen Sze­ne: Von den Vertretern des alten Systems gehasst, von einer aufmüpfigen, politisch zu neuen Ufern strebenden Jugend geliebt, gefeiert, verehrt. Zu dieser Generation und Fan-Gemeinde gehörte auch Theodor Fontane, der sich 1841/42 als 2. Rezeptar in der Leipziger Apotheke»Zum weißen Ad­ler« einem illegalen studentischen Literaturzirkel angeschlossen hatte, den er in seinen späteren Lebenserinnerungen eingedenk der unter den Studen­ten verbreiteten Begeisterung für den Dichter kurzerhand Herwegh-Club nannte. Dem immensen Einfluss Herweghs verdanken wir Fontanes 1841/42 entstandene Sammlung Gedichte eines Berliner Taugenichts, mit der er 1842 als Buchautor debütieren wollte. Er schickte das Manuskript beherzt an Her­weghs Verleger Julius Fröbel nach Winterthur, der es im Sommer 1842 je­doch»mit Bedauern« zurückwies. Wie Fontane noch nach über fünfzig Jah­ren indigniert mutmaßte, ohne einen Blick hineingetan zu haben. Das Manuskript blieb ungedruckt. Herweghs literarisches Vorbild in dieser po­litischen, sozialkritischen, antiklerikalen Lyrik Fontanes zu Beginn der 1840er Jahre ist gewaltig. Seinem Idol widmete Fontane auch das Einlei­tungsgedicht, in dem er mit Emphase festhält, welche Kraft und Lebensfreu­de, oppositionelle Gesinnungsstärke und Zuversicht er aus Herweghs Ge­dichten gesogen. Fontane hat sich diese poetische Jugendliebe über alle politischen Wen­dungen und Wandlungen hinweg lebenslang bewahrt. Selbst als er Anfang der 1850er Jahre vom revolutionären links-republikanischen ins konterre­volutionäre, reaktionäre Lager konvertiert war, hielt er am Dichter Herwegh fest. In alle Auflagen seiner repräsentativen Lyrikanthologie Deutsches Dichter-Album(zuerst 1852) nahm er auch vier Gedichte Herweghs auf, des­sen Ruf zu diesem Zeitpunkt in den deutschen Staaten auf einem Tiefpunkt angelangt war. Denn Herweghs aktive Revolutionsbeteiligung im April 1848 als Anführer der Deutschen Demokratischen Legion zur Unterstützung der in Südwestdeutschland kämpfenden Republikaner, deren Niederlage und Herweghs abermalige Flucht in die Schweiz hatte ihm Spott, Hass, Verläum­dungen, Feindseligkeiten von allen Seiten eingetragen.