186 Fontane Blätter 110 Rezensionen des edierten Materials»hat sich[…] gegenüber der Ausgabe von Hermann Tardel vervierfacht.«(»Vorwort zur Ausgabe«, Bd. 1, S. IV.) Dabei sind nicht nur zahlreiche bislang ganz unbekannte Texte Herweghs wiederentdeckt worden, auch etliche anonym oder mit Chiffre erschienene Arbeiten konnten sicher identifiziert und dem Autor zugeschrieben werden. Groß ist auch der Fortschritt gegenüber den älteren Briefausgaben bzw. den zahllosen unselbstständigen Briefpublikationen: Die Hälfte der insgesamt rund 650 überlieferten Briefe Herweghs wird hier erstmals veröffentlicht. Die älteren Textausgaben, vielfach gekürzt, stellenweise fehlerhaft transkribiert, nach unterschiedlichsten und oft sehr fragwürdigen editorischen Praktiken und Intentionen zustande gekommen, werden durch diese Gesamtausgabe überflüssig. Für fast alle Briefe konnten die Herausgeber die Handschrift zugrunde legen. Nicht ediert wurden in dieser Ausgabe die Gegenbriefe, die zum Teil auszugsweise im Kommentarteil der Ausgabe wiedergegeben sind. Das ist sicher keine ganz befriedigende Lösung, aber man muss wohl nüchtern konstatieren, dass eine Edition aller Briefe an Herwegh die logistischen, finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten dieser Ausgabe überfordert hätte. Die Ausgabe basiert auf verlässlichen, modernen editionsphilologischen Voraussetzungen. Die Grundlage für die Textkonstitution ist der(vielfach unselbstständige) Erstdruck. Abweichend davon folgen die Gedichte eines Lebendigen(2 Bände) der jeweils ersten Buchausgabe von 1841 und 1843. Unveröffentlichte und nachgelassene Arbeiten(wie auch Briefe) werden diplomatisch getreu nach der Handschrift ediert. Die historische Orthographie und Zeichensetzung wird nicht angetastet, Texteingriffe erfolgen nur bei eindeutig festgestellten Druck- bzw. Setzerfehlern und werden nachgewiesen. Die Apparatteile bieten in übersichtlicher Form alle wesentlichen entstehungs-, überlieferungs- und wirkungsgeschichtlichen Informationen, darunter auch Lesarten und Varianten. Bei den Gedichten werden neben der bibliographischen Angabe des Erstdrucks weitere zeitgenössische Einzelveröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften, Anthologien und anderen Druckwerken dokumentiert. Auch diese umfassend bibliographierten Publikationskontexte können wichtige Aspekte und Hilfen für spätere Deutungsansätze bieten. Ein Autor wie Herwegh, der in seinen Gedichten und Aufsätzen auf zahllose aktuelle Ereignisse Bezug nimmt, in dessen Texten sich viele Anspielungen, Metaphern, Allusionen, literarische, rhetorische, zeitgeschichtliche und biographische Zusammenhänge verbergen, die dem heutigen Leser nicht mehr geläufig sind, ist besonders kommentierungsbedürftig und stellt an den Kommentar hohe Ansprüche. Der Schwerpunkt des Apparates liegt auf den Stellenerläuterungen. Sie sind(unter Einbeziehung neuer Forschungsliteratur) in der Regel präzise, bündig, ergiebig und gut lesbar.
Heft
(2020) 110
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