Auf diese Weise tritt jedenfalls deutlich das Kalkül hervor, mit dem Fontane die Art und die Häufigkeit literarischer Anspielungen der Eigenart seiner Sujets anpaßte. Analog den „Mit-Und-" und „Ohne-Und-Novellen" lassen sich Erzählungen mit und ohne literarische Anspielungen unterscheiden, wobei sich die quantitativen Verhältnisse als aufschlußreich erweisen, aber mit der gebotenen Zurückhaltung beurteilt werden. Maßgeblich ist vielmehr die funktionale Analyse der Verwendung, die diese Elemente als „erzählerische Kunstmittel" (S. 6) gefunden haben. Hinsichtlich der Formen und Verwendungsmöglichkeiten, in denen literarische Anspielungen generell auftreten, wird in dem systematisch orientierten Einleitungskapitel mit derselben deskriptiven Nüchternheit das Feld abgesteckt, die für die ganze Arbeit kennzeichnend ist. Zwischen dem wörtlichen und dem kryptischen Zitat, dem Einzelwort und u. U. einem ganzen Werk — beispielsweise einem Gedicht — gelegen, bezeichnet dieses Feld den Spielraum, wo zwischen zwei Texten Verweisungen stattfinden, die der Autor arrangiert und der Leser, wenn das Glück gut ist, aktualisiert. Vom Buchtitel bis zur Theateraufführung, die durch die handelnden Figuren veranstaltet wird, reicht die Skala der Realisierungen, von der spielerischen Arabeske bis zur autoritativen Beglaubigung die der rhetorischen Funktionen.
Das Hauptaugenmerk der anschließenden Untersuchung richtet sich jedoch auf die Aufgaben, die den Zitaten und Allusionen beim Figurenaufbau, im „Erzählprozeß und im Sinnzusammenhang" (S. 34) der Fontaneschen Romane übertragen werden. Die Vielzahl aufschlußreicher Beobachtungen, die dabei erzielt wurden und sich der zusammenfassenden Wiedergabe entziehen, soll nur durch zwei Beispiele vor Augen geführt werden. Die Leistungsfähigkeit der zitierten Einzelheit erweist sich überzeugend in der ironischen Vorwegnahme, die Leopold Treibels klägliche Rolle als Liebhaber durch die Konfrontation mit Bürgers Ballade „Die Entführung" erfährt. (S. 119 ff.) Von fundamentaler Bedeutung für das Werkganze sind hingegen die interpretatorischen Resultate, die aus den entsprechenden Bezugnahmen des Textes für die bisher vernachlässigte Literatursphäre in „Vor dem Sturm" gewonnen wurden. Zweifel hinterbleiben, ob nicht des Guten teilweise zu viel getan wurde. Das betrifft die Untersuchung, die mitunter die Detaillierung, namentlich aber die Vereindeutigung ihrer Fundsachen im Eifer der Entdeckung ziemlich weit treibt. Es betrifft aber auch den alten Zweifel, ob nicht auch Fontane — aller Artistik ungeachtet, mit der er verfährt — manchmal seinen Texten zuviele literarische Bildungspartikel zumutet, so daß man auch an Hilfskonstruktionen denken kann. Über die Bewertung seiner Zitierpraxis ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Das nimmt der Arbeit von Bettina Plett nichts von ihrem Wert für die Fontane- Philologie und für die Geschichte und Theorie des literarischen Zitierens. Es handelt sich nicht zuletzt um einen ungewöhnlich hohen Gebrauchswert, der sich äußerlich in einem Apparat von nahezu hundertfünfzig’ Seiten Umfang manifestiert. Er umfaßt außer der verwendeten Literatur mehrere Register, die ein müheloses Auf finden der Autoren und Werke sowohl bei Fontane als auch bei Plett gestatten, aus denen die erfaßten Zitate herstammen; hinzu kommt eine tabellarische Übersicht der Zitate, wie sie in Fontanes Werken vorgefunden werden.
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