12 Fontane Blätter 111 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Dichter, den 30. Dec. 1819 zu Neu-Ruppin geboren, konditionierte in mehren Apotheken, z. B. zu Leipzig, ging dann nach Berlin und lebt daselbst in literarischer Thätigkeit. Er ist besonders durch die kraft- und lebensvolle Behandlung epischer Stoffe ausgezeichnet.« 5 Es folgen ein paar Titelangaben. Und angesichts einer so armseligen biographischen Quellenlage ließ sich leicht eine manipulative Lebensskizze des Autors entwerfen. Der anonyme Berliner Korrespondent verleiht Fontane einen geradezu ätherischen, romantischen Dichter-Nimbus. Er stilisiert Fontane zu einem Poeten, der von Jugend an nur für die Dichtung lebte(wovon er wirklich lebte, erfahren wir nicht) und dessen weltfremde, scheue»vornehme Zurückhaltung« zur Folge habe, dass er dem großen Lesepublikum unbekannt geblieben sei. Auffallend ist aus heutiger Sicht, dass alle Lebensumstände und Entwicklungen, die Fontane zu diesem Zeitpunkt noch(und bis in die 1880er Jahre hinein) selbst als unangenehm, heikel oder peinlich verbuchte, säuberlich ausgeklammert werden. Der gelernte Apotheker der 1830er und 1840er Jahre, der Herweghianer zu Beginn der 1840er, der Revolutionär 1848, der überzeugte Republikaner 1849, sie werden tapfer ignoriert. Hervorgehoben werden stattdessen Fontanes enthusiastischer Musendienst, seine romantische Grundstimmung, seine königstreue, konservative Gesinnung, gefolgt von den Stichworten Kreuzzeitung, Englandreisen, märkische Wanderungen. Handelt es sich hier um ein Selbstbild Fontanes aus dem Jahr 1866? Ist der anonyme Korrespondent von ihm sorgfältig ›gebrieft‹ worden? Seit wann und wie gut kannte er Fontane, wie nahe stand er ihm? Wir können diese Frage leider nicht beantworten, denn wer sich hinter dem mit drei Sternchen signierten Berliner Korrespondenten der liberalen Neuen Freien Presse verbirgt, bleibt im Dunkeln. Freilich dient das aufgeklappte und sehr hoch gestellte Bild des ›Dichters‹ Fontane dem Rezensenten auch als starker Kontrast: Wie kann ein zartfühlender Poet ein nüchtern-sachliches Geschichtswerk verfassen? Der Korrespondent zeigt sich enttäuscht, dass der ›Dichter‹ die Geschichte des Krieges nicht in Versen besungen hat. Aber obwohl ganz unpoetisch: Fontane hat seine Aufgabe in den Augen des Rezensenten doch alles in allem glänzend gemeistert, die Kriegshistorie fleißig, gewissenhaft, unbefangen, ausführlich, umsichtig und mit Wärme dargestellt. Und der Rezensent sieht in der Entwicklung des ›Dichters‹ Fontane einen Wendepunkt gekommen: »Es ist, als wäre diese Dichternatur jetzt auf einen anderen Boden gerathen, auf dem sie sich heimisch zu machen sucht, um wieder, obwol nicht mehr in der alten Weise, productiv zu werden.« Aus heutigem Blickwinkel ist diese Witterung des Wandels ein bemerkenswerter Gesichtspunkt. Denn noch weitere zehn Jahre, bis 1876 der letzte Teil seines dritten Kriegsbuchs erschien, sollte Fontane einen Großteil seiner Arbeitszeit der Kriegsgeschichte opfern. Für Fontane selbst war das im Nachhinein eine Zeit schriftstellerisch-künstlerischen Reifens, der Über-
Heft
(2021) 111
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