Fontane in der österreichischen Presse Rasch 13 gang zum modernen Schriftsteller. Denn»erst bei dem 70er Kriegsbuche und dann bei dem Schreiben meines Romans« sei er»ein Schriftsteller geworden[…] d. h. ein Mann, der sein Metier als eine Kunst betreibt, als eine Kunst, deren Anforderungen er kennt.« 6 Hat diese Metamorphose schon 1866 begonnen? Hat das Terrain der Kriegshistorie, diesem geschickt verfugten Patchwork aus Bericht, Erzählung, Biographie, Chronik, Skizze, Reisefeuilleton usw. den späteren Romancier vorbereitet? Wie sehr der debütierende Kriegshistoriker Fontane 1866 noch auf seine Rolle als wirklichkeitsferner ›Dichter‹ festgelegt war, zeigt nicht nur die Besprechung in der Neuen Freien Presse. Ein Rezensent der Leipziger Grenzboten spielt den Poeten gegen den Kriegshistoriker aus und moniert in Fontanes Kriegsbuch einen Überschuss an Poesie: Hätte statt eines Poeten ein Offizier, und statt eines nur oberflächlich Unterrichteten ein genauer Kenner aller oder doch der wichtigsten Absichten, Pläne und Ereignisse wenigstens auf preußischer Seite geschrieben, so würde sich ohne Zweifel vieles[…] wesentlich anders gestaltet haben. Auch sonst bemerkt man gelegentlich, daß der Verfasser mehr Dichter als gut informirt ist. 7 II. Von den berühmten, einflussreichen oder stilprägenden österreichischen Kritikern und Feuilletonisten wie etwa Ferdinand Kürnberger(1821–1879), Emil Kuh(1828–1876), Ludwig Speidel(1830–1906) oder Daniel Spitzer(1835– 1893) hat keiner Fontane Beachtung geschenkt. Es gibt eine Ausnahme, und diese Ausnahme ist der seinerzeit weithin bekannte, heute vergessene Schriftsteller, Philosoph, Journalist, Kritiker und Feuilletonist Hieronymus Lorm(1821–1902), der mit bürgerlichem Namen Heinrich Landesmann hieß. Er gehörte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den namhaften Vertretern der Wiener Presse und besonders des Wiener Feuilletons. Er arbeitete seit 1850 für die Wiener Zeitung, später für die Neue Freie Presse, die Wiener Abendpost und das Neue Wiener Fremdenblatt. In der Literatur machte sich der vielseitige Lorm einen Namen mit Gedichten(davon erschienen seit 1852 mehrere Sammlungen), Romanen, Erzählungen, Essaybänden, Feuilletonsammlungen und philosophischen Schriften(darunter sein Hauptwerk Der grundlose Optimismus, 1894). Sein besonderes Talent, lebens- und naturphilosophische Fragen feuilletonistisch anregend, leicht, gefällig einer breiten Leserschicht nahezubringen, trug ihm den Ruf eines Dichter-Philosophen ein. 8 Lorm, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, wuchs in Wien auf, lebte später in Leipzig, Dresden, zuletzt in Brünn, und war durch eine schon in jungen Jahren auftretende Taubheit sowie eine Sehschwäche, die 1881 zur
Heft
(2021) 111
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